Wie keiner sonst / ebook (German Edition)
raucht zwei Zigaretten. Der Zug kommt.
I ch habe die Augen dicht am Holz. Das fünfte Termitenloch soll perfekt werden, besser als es die Termiten selbst machen. Mit dem vierten war ich nicht zufrieden. Ich setze den Bohrer genau an dem Punkt an, den ich mit Bleistift gemacht habe. Plötzlich verschwindet das Licht, und ich spüre etwas hinter mir. Etwas Großes, Dunkles, wie in den Märchen, die mein Vater mir vorm Einschlafen erzählt. So groß, dass es ganze Städte auffrisst und Kirchtürme als Zahnstocher benutzt. So hässlich, dass man es nicht ansehen kann, ohne blind zu werden.
»Was zum Teufel soll das?«
Die Stimme des Chefs donnert.
»Du lässt ihn doch nicht etwa Löcher bohren? Bist du total …« Der Chef ballt die Fäuste. Mein Vater kommt zu uns, rührt weiter in dem Marmeladenglas mit Kaffeesatz.
»Sehen Sie genau hin«, sagt er.
»Du bezahlst alles, was der kleine Scheißer kaputt gemacht hat.«
»Sehen Sie genau hin.«
Der Chef atmet tief ein und setzt seine Lesebrille auf. Er beugt sich über den Stuhl, ich kann gerade noch ausweichen, bevor er mich zermalmt.
Der Chef fährt mit dem Finger über die Löcher, brummt vor sich hin.
»Gar nicht so übel«, murmelt er, richtet sich auf und nimmt die Brille ab. Er mustert mich von oben bis unten, als wolle er nicht glauben, dass die Arbeit von mir stammt. Dann geht er ohne ein weiteres Wort in die Werkstatt.
Mein Vater lächelt. »Mach weiter«, sagt er. »Die Termiten machen die Löcher nicht von selbst.«
Meine Hände zittern, als ich den Bohrer wieder ansetze.
An den nächsten Tagen kommt der Chef täglich vorbei. Er bleibt jedes Mal hinter mir stehen und schaut mir über die Schulter. Ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen. Der Chef brummelt ein bisschen und geht weiter.
Am Ende der Woche spendiert uns der Chef ein Mittagessen. Ohne ein Wort legt er ein kleines Päckchen vor mich, eingewickelt in Butterbrotpapier und Gummiband. Ich traue mich nicht, es zu öffnen, bevor mein Vater und der Chef selbst essen. Die Mayonnaise auf meinem Kartoffelbrot ist gelb, die Frikadelle angebrannt. Ich bin nach dem ersten Bissen satt, zwinge mich aber, alles aufzuessen.
D en ganzen Tag hat mein Vater gesagt: »Schlaf. Du musst schlafen. Warum bist du schon auf? Geh rein und schlaf. Es wird spät heute Nacht.«
Wir essen Hacksteaks mit geschmorten Zwiebeln. Nach dem Abwasch liest mein Vater ein Buch, und ich sitze vor der Staffelei und versuche, ein Pferd zu malen, aber ich kriege die Beine nicht hin, sie hängen wie Spaghetti unter dem Pferdebauch.
Mein Vater schaut auf die Wanduhr und sagt, wir müssten gehen. Aber erst soll ich mich warm anziehen.
»Alles?«
»Ja, alles.«
Ich ziehe mehrere T-Shirts und Sweatshirts übereinander. Drei Paar Strümpfe.
»Wo gehen wir hin?«, frage ich. Mein Vater lächelt nur und zieht mir die Kapuze über die Ohren. In seiner Tasche scheppert Metall, als er sie vom Haken nimmt.
Die Frauen auf der Straße tragen hohe Absätze, unter ihren Winterjacken schauen Abendkleider hervor. Die Männer tragen Hemden mit Schlips oder Fliege. Manche sehen aus, als hätten sie es sehr eilig, andere lachen, trinken und johlen. Ich watschele mit ausgestreckten Armen neben meinem Vater her und würde mich am liebsten einfach hinlegen, damit er mich wie einen Schlitten ziehen könnte.
Ein paar Straßen weiter bleiben wir stehen, ich folge dem Blick meines Vaters zum roten Backsteinhaus auf der anderen Straßenseite.
»Tritt ein wenig auf der Stelle, damit dir nicht kalt wird.«
Am Fenster im ersten Stock stehen eine Frau und ein Mann und trinken Wein. Musik dröhnt, und weiter oben hüpft ein Mann mit einem Papierhut auf dem Kopf auf und ab. Die Kälte kriecht durch meine Wollhandschuhe, ich krümme die Zehen und zähle, wie viele Zigaretten mein Vater raucht, gerade schnipst er den vierten Stummel in den Schnee.
Er kramt schon nach der nächsten, als die Haustür aufgeht. Mein Vater nimmt meine Hand, und wir überqueren die Straße. »Nimm die Kapuze ab und tu so, als würdest du auf ein Fest gehen«, sagt er. Ein Mann kommt aus dem Haus, er rutscht aus und landet mit dem Oberkörper auf einem geparkten Auto. Ein zweiter folgt ihm nach, er hält eine Flasche in der Hand, beide lachen. Mein Vater steckt im letzten Moment den Fuß in die Tür. Wir gehen die Treppe hinauf, Musik und laute Stimmen dringen durch die Wohnungstüren, es riecht nach Essen. Im dritten Stock liegt ein Mann auf der Fußmatte und schläft. Wir
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