Wie keiner sonst / ebook (German Edition)
ist es kälter geworden. Die Gehwege sind glatt, und ich muss aufpassen, wo ich hintrete. Ich mochte die Menschen in der Kirche. Sie waren schön angezogen und lächelten. Sie hielten einander an den Händen und lächelten auch mich an, obwohl ich sie nicht kannte. Ich mochte das warme Licht der Kerzen. Aber das sage ich meinem Vater nicht. Er läuft, und ich versuche, Schritt zu halten, muss über Schneewehen hüpfen und zur Seite springen, wenn ein Auto vorbeifährt und Schneematsch aufspritzt. Der Wind treibt mir Tränen in die Augen.
»Sollen wir nicht an ihn glauben?«, frage ich meinen Vater.
»An wen?«
»Gott.«
»Ach der. Nun, …«
»Also nein?«
Mein Vater sucht nach einer Zigarette.
»Vielleicht ist das gar nicht die Frage.« Er schirmt den Wind mit dem Mantel ab und zündet die Zigarette an, dann nimmt er meine Hand.
»Jetzt gibt es Ente«, sagt er.
Wir gehen an Restaurants vorbei, durch die Fenster sehe ich festlich gekleidete Menschen und weiße Tischtücher.
»Essen wir hier?«, frage ich.
»Nein. Wo wir hingehen, gibt es die beste Ente der Stadt.« Wir laufen weiter. Vorbei an vielen Restaurants, durch viele Straßen und viele Schneewehen, bis wir zu den Mädchen mit den hohen Absätzen kommen. Heute tragen sie kurze Daunenjacken, die nicht einmal über die Hüfte reichen. Wir gehen an alten Lagerhallen und kleinen Fabriken vorbei. Viele Laternen sind kaputt, manche flackern.
»Hier ist es«, sagt mein Vater. »Die beste der ganzen Stadt.« Auf der anderen Straßenseite steht ein kleines, viereckiges Holzhaus mit roten und gelben Schildern auf dem Dach. Vor der Tür stehen zwei Taxis. Ich klopfe den Schnee von den Schuhen, bevor wir eintreten.
Drinnen sitzen die Menschen allein, jeder für sich an einem kleinen Tisch, den Blick aufs Essen geheftet. Am Fenster hängen zwei mit Klebeband befestigte Weihnachtswichtel, die Fensterbank ist mit goldenem Sternkonfetti bestreut.
Mein Vater wählt einen Platz in der Ecke. Geht zur Theke und kommt mit zwei Tellern Ente mit brauner Soße und einem Teller Schweinebraten wieder. Das Essen glänzt im hellen Schein der Neonröhren.
»Du möchtest bestimmt lieber Brust, oder?« Mein Vater tauscht sein Stück gegen die Keule auf meinem Teller.
Der Spielautomat in der Ecke macht laut »pling«.
»Einmal haben wir mit Mutter Heiligabend gefeiert«, sage ich. »In einem Haus. Haben wir je in einem Haus gewohnt?«
»Ja. Und deine Mutter hat auch Ente gekocht, und ich die Soße. Ihre Ente war fantastisch.«
»Besser als die hier?«
»Ja, aber nur ein kleines bisschen.«
Er schneidet ein Stück Schwarte ab und steckt es in den Mund.
»Ich freue mich, dass du dich daran erinnerst. Du siehst ihr von Tag zu Tag ähnlicher.«
Ein Mann steht von einem der anderen Tische auf und drückt seine Zigarette auf dem Teller aus. Er trinkt seinen Kaffee aus und geht. Kurz danach leuchten die Scheinwerfer von einem der beiden Taxis auf. Ich schaue den roten Rücklichtern hinterher, bis sie verschwinden.
»Warum sitzen die Leute hier allein?«
Mein Vater legt mehrere Scheiben Schweinebraten und einen Klecks Johannisbeergelee auf meinen Teller.
»Nicht jeder hat Gesellschaft zu Weihnachten«, sagt er.
»So wie wir?«
Er schaut vom Teller auf. »Ja, mein Schatz. Wir haben einander. Das ist ein großer Unterschied.«
Zum Nachtisch essen wir Milchreis mit Mandeln und Sahne. Mein Vater trinkt Kaffee. Als wir heimgehen, bin ich so satt, dass mir der Bauch wehtut.
»Du hast noch gar nicht nach deinem Weihnachtsgeschenk gefragt«, sagt mein Vater, als wir die Treppe hinaufgehen.
Ich warte in der Küche, während er es aus dem Keller holt. Das Geschenk passt kaum durch die schmale Küchentür, es ist riesengroß und in rotes Papier eingewickelt.
Zuerst will ich es vorsichtig auspacken, aber dann verliere ich die Geduld und reiße das Papier auf. Helles Holz kommt zum Vorschein. »Eine Staffelei«, sagt mein Vater. »Zum Malen.« Ich weiß, was eine Staffelei ist, habe sie oft in den Läden gesehen, in denen mein Vater Farben für mich kauft, ohne Geld auszugeben. Aber diese ist anders. Alle Kanten sind geschliffen, und sie ist lackiert. Sie gleicht mehr einem Musikinstrument als einem Gerät, auf das man Leinwände stellt. Er muss sie in der Werkstatt gemacht haben, wahrscheinlich hat er viele Stunden daran gearbeitet.
D raußen vor dem Zugfenster geht die Sonne unter. Rasch, als hätte sie etwas Wichtiges vor.
Der Abstand zwischen den Häusern wird immer
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