Wie keiner sonst / ebook (German Edition)
steigen über ihn und gehen weiter hinauf.
Am oberen Ende der Treppe ist eine einfache Tür ohne Namensschild. Mein Vater holt einen Schraubenzieher und einen Hammer aus der Tasche. Ein paar Etagen unter uns geht eine Tür auf, wir hören Schritte, jemand läuft nach unten. Mein Vater steckt den Schraubenzieher zwischen Tür und Rahmen, hält den Hammer in der anderen Hand bereit und sieht auf die Uhr. »Fünf, vier, drei, zwei, eins.«
Plötzlich wird alles lauter. Menschen rufen, trampeln und blasen in Tröten. »Prost Neujahr«, sagt mein Vater und schlägt mit dem Hammer auf den Schraubenzieher, der sich ins Holz bohrt. Er schlägt noch einmal, der Krach geht in tausend anderen Geräuschen unter.
Mein Vater bricht die Tür auf, und wir gehen durch einen schmalen Gang mit Holztüren auf jeder Seite. Am Ende des Ganges steht eine kleine Leiter, die zu einer Luke führt. Sie ist mit einem Hängeschloss verriegelt, das auch ein paar Schläge mit dem Hammer abbekommt.
Wir steigen neben dem Schornstein aufs Dach. Es fällt nach beiden Seiten ab, aber in der Mitte ist ein drei bis vier Meter breites, flaches Stück mit einem Holzboden. Mein Vater zieht eine Decke aus der Tasche und breitet sie aus, dann noch mehr Decken, in die er uns einhüllt. Zuletzt holt er eine Thermoskanne mit heißem Kakao hervor. Wir liegen nebeneinander auf dem Rücken und schauen dem Feuerwerk zu, die Stadt explodiert im Licht, ich halte mir die Ohren zu und lache. Ringsum fallen Raketen in die Dachrinnen.
1988
D er Frosch starrt sie an. Er ist riesengroß, seine Haut ist grün und voller Warzen.
»Wollt ihr rüber?«, fragt er und lacht höhnisch. Sein Lachen stinkt nach faulem Wasser, sein Maul ist so groß, dass er glatt eine Kuh verschlucken könnte. Der König und der Prinz schauen über den See. Das andere Ufer ist im dichten Nebel verschwunden.
»Ich fresse euch nicht auf«, sagt der Frosch. »Versprochen.«
Der König und der Prinz sehen einander an. Sollen sie es tun, sollen sie es riskieren und dem Frosch vertrauen?
Ich liege im Bett, halte die Luft an. Die Toilettenspülung unter uns wird zum Platschen eines riesigen Hechts im schlammigen Wasser. Der Fernseher des Nachbarn wird zum Vogelgesang in den Bäumen hinter uns.
»Könnten sie nicht einfach um den See herumlaufen?«, frage ich.
»Das würde Jahre dauern. Bis sie ankämen, wäre der Prinz so alt, wie der König es jetzt ist, und der König wäre ein blinder Greis. Dann könnten sie die Weiße Königin nie töten und den Fluch nie aufheben.«
»Haben sie denn gar keine Angst?«
»Doch, natürlich. Aber wenn man keine Wahl hat, fällt es viel leichter, mutig zu sein.«
Der König klettert mühsam auf den Frosch, seine Haut ist glatt und schleimig, es gibt nichts zum Festhalten. Als der König endlich auf dem Rücken sitzt, hilft er dem Prinzen hoch. Der Frosch spannt die Beinmuskeln an, sein ganzer Körper zittert. Dann springt er. Das Wasser reicht ihnen bis an die Ohren. Der Frosch macht kräftige Schwimmzüge mit seinen großen Hinterbeinen. Bald ist das Ufer nur noch ein dünner Strich hinter ihnen. Der Gesang der Vögel wird leiser und leiser, bis er ganz verschwindet. Stille umgibt sie, nur die Schwimmzüge des Frosches sind zu hören. Nebel legt sich über sie, alles wird weiß. Plötzlich tritt der Frosch im Wasser auf der Stelle.
»Ich habe Hunger«, sagt er. »Riesenhunger.«
»Du hast versprochen, uns nicht zu fressen«, sagt der Prinz.
»Lieber ein Lügner als ein Hungerleider«, sagt der Frosch und reißt das Maul auf.
»Du kannst unseren Proviant haben«, sagt der Prinz.
Der Frosch denkt kurz nach und nickt. Er macht Ringe im Wasser. »Ihr haltet euch ja noch eine Weile«, sagt er.
Der König und der Prinz öffnen ihre Taschen und werfen Eier, Wurst und rote Äpfel in den Rachen des Frosches. Er kaut, lässt die Hinterbeine sinken und schwimmt weiter. Mein Vater macht das Licht aus und deckt mich zu, stopft die Decke an den Seiten fest. »Schlaf gut«, sagt er.
Mein Vater und ich stehen im Hof vor der Werkstatt. »Passt auf«, sagt der Chef. »Wir haben eine große Bestellung aus Deutschland bekommen. Die sind ganz verrückt nach dem alten Schrott.«
Eine Stunde später kommt ein Lastwagen voller Möbel, die wir alt machen sollen. Die Werkstatt ist zu klein, wir stellen einige in den Hof und decken sie ab. Der Chef muss neue Planen kaufen gehen.
Als er zurückkommt, schneit es, und wir müssen die Möbel trocken wischen, bevor wir sie
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