Wie keiner sonst / ebook (German Edition)
abdecken.
Am Nachmittag sind wir immer noch mit den ersten Stühlen und Tischen beschäftigt. Die Werkstatt riecht nach nassem Holz, Lack und Kaffeesatz. Der Chef schaut mir über die Schulter, während ich die Beine eines Sessels mit einer Feile bearbeite.
»Wirklich nicht übel«, sagt er. Er klopft meinem Vater auf die Schulter, sagt irgendetwas von Kinderarbeit und lacht.
Erst spät am Abend verlassen wir die Werkstatt. Ich auf der Ladefläche des Fahrrads, kein Stern leuchtet am Himmel. Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man den ganzen Tag gelaufen ist, aber heute schmerzt mir zum ersten Mal der ganze Körper. Es tut gut, Arbeit zu haben.
Mein Vater holt einen Stuhl aus der Küche. Die Augen fallen ihm fast zu, aber er sagt, er wolle den König und den Prinzen nicht die ganze Nacht auf dem Frosch sitzen lassen. Sie haben schon trockene Lippen, und ihre Bäuche knurren laut. Noch immer können sie das andere Ufer nicht sehen. Da tritt der Frosch wieder im Wasser auf der Stelle.
»Wenn ich bloß nicht so hungrig wäre«, sagt er. »Ein König und ein Prinz wären jetzt lecker.«
»Willst du nicht lieber das Fleisch essen, das wir dabeihaben?«, fragt der König.
»Ich habe doch gestern schon euren Proviant aufgegessen.«
»Ja, aber nicht das Fleisch, das wir am anderen Ufer verkaufen wollten.«
»Her damit«, sagt der Frosch.
Der König zieht die Schuhe aus, ganz leise, dass der Frosch es nicht hört. Der Prinz macht es ihm nach. Sie binden die Schuhe mit den Schnürsenkeln zusammen und werfen sie in das offene Maul des Frosches. Der Frosch kaut auf dem Leder herum.
»Schmeckt merkwürdig«, sagt er. »Ganz schön zäh.«
»Richtig gutes Fleisch ist immer zäh«, sagt der Prinz.
»Damit man es extra lange kauen kann.«
Am nächsten Morgen holt ein Lastwagen die fertigen Möbel. Ihr Holz ist nun dunkler, die Bezüge sind mit einer Stahlbürste aufgeraut. Wir wollen sie schnell loswerden, um Platz in der Werkstatt zu schaffen.
Nach dem Essen sagt der Chef, er habe eine gute Idee, und verschwindet. Eine Stunde später kommt er mit dreißig nagelneuen Weckern zurück. Sie sind aus Metall, und man muss sie aufziehen, aber der Lack glänzt, und die Preisschilder kleben noch an ihnen. »Für die Deutschen«, sagt er und erklärt, dass er jeder Ladung Möbel ein paar Uhren beigeben will. »Das wird sie freuen.«
Wir nehmen die Uhren auseinander und legen die Zeiger und Zifferblätter in ein Säurebad.
Bald bin ich allein für die Uhren verantwortlich. Nach dem Säurebad hat der Lack auf den Zifferblättern Blasen geschlagen, als hätten sie viele Jahre lang in einer Rumpelkammer mit undichtem Dach gelegen. Auch die Gehäuse mache ich älter. Wenn ich nicht gerade Sessel lackiere oder Termitenlöcher bohre, nehme ich mir eine Uhr vor. Ich schmiere schwarze Schuhwichse in die Ritzen, bearbeite den Lack mit Sandpapier und stelle sie hinaus in den Regen.
Der Frosch schwimmt weiter auf den See hinaus. Der Nebel wird so dicht, dass der König und der Prinz einander nicht mehr sehen. Auch den Frosch unter ihnen sehen sie nicht mehr, sie spüren nur seine schleimige Haut und hören seinen Magen knurren. Wieder tritt er im Wasser auf der Stelle, aber er sagt nichts.
Mein Vater ist auf dem Stuhl eingeschlafen. Ich schüttle ihn, bis er aufsteht und zur Pritsche schwankt. Ich frage, ob der König und der Prinz es wohl schaffen werden. »Wer weiß«, murmelt er und schläft wieder ein.
Der Chef hält eine Uhr in der Hand, die ich gerade zusammengeschraubt habe, es ist eine meiner ersten. Er sieht aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen.
»Du hast eine Belohnung verdient«, sagt er beim Mittagessen. Ich kann nicht glauben, dass er mich meint, und esse einfach weiter, knabbere um die Rote Bete auf der Leberpastete herum.
»He, Junge«, ruft er. »Ja, dich meine ich. Was willst du haben?«
Ich weiß nicht, was ich antworten soll.
»Das mit der Kinderarbeit war nur ein Scherz. In Wirklichkeit habe ich ein schlechtes Gewissen. Also, was willst du haben?«
Ich sehe meinen Vater an, er nickt, ich soll es ruhig sagen. Ich zögere, will nicht, dass der Chef mich auslacht oder heimschickt. Ich will hierbleiben, neben meinem Vater, will schwitzen und Splitter in die Finger bekommen. Beide sehen mich erwartungsvoll an.
»Ein Fahrrad«, sage ich. »Ein blaues Fahrrad.«
Sofort bereue ich es, ich hätte mir etwas Kleineres wünschen sollen, ein Spielzeugauto oder einen neuen Fußball. Aber der Chef lächelt.
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