Wie keiner sonst / ebook (German Edition)
unterschrieben ist, musst du mich für den Rest der Saison bezahlen, auch wenn ihr den Laden morgen dichtmacht.«
Der Direktor schaut noch immer auf seine Hände. »Du bist nicht dumm.«
»Wollen wir den Vertrag nicht einfach vergessen?«, fragt mein Vater. »Solange ich rechtzeitig mein Geld bekomme, brauche ich keinen.«
Der Direktor hält die Luft an, als hätte er nicht richtig gehört. Dann steht er auf, drückt die Hand meines Vaters und schüttelt sie kräftig.
»Du bist echt in Ordnung«, sagt er und zieht einen weißen Briefumschlag aus der Jackentasche.
»Vergiss nicht, es beim Finanzamt anzumelden.« Die beiden lachen. Der Direktor verschwindet schnell, als hätte er Angst, dass mein Vater seine Meinung ändert.
Mein Vater schließt den Beleuchtungsraum ab, und wir gehen durch den schmalen Gang zur Treppe. Sara kommt uns entgegen. Sie hat sich umgezogen und trägt nun Jeans und einen dunkelroten Strickpullover. Ihr Haar ist zu einem Pferdeschwanz gebunden, der Schweiß steht ihr noch auf der Stirn.
»Versprich mir, dass ihr mitkommt. Nur auf ein Glas.«
Mein Vater sieht mich an, ich soll entscheiden.
Das nasse Pflaster schimmert im Licht der Laternen. Wir gehen zusammen mit den Schauspielern. Vor der Vorstellung sind sie immer sehr ernst, sprechen kaum, trinken Kaffee und rauchen. Aber danach lachen sie viel und fast ohne Grund.
Der Mann hinter der Bar grüßt, als er uns hereinkommen sieht. »Die Schauspieler kommen«, ruft er. »Holt die Wäsche von der Leine!« Sofort zapft er Bier. Ein älterer Herr steht auf und macht Platz. Das hat gerade noch gefehlt, sagt er. Wir wählen einen Tisch in der Mitte.
Die Schauspieler haben immer etwas zu erzählen, Geschichten oder Witze, oder sie lästern über Kollegen.
Ich sitze neben meinem Vater und trinke mit einem Strohhalm Orangensaft. Ich unter Schauspielern. Die Leute an den anderen Tischen hören mit. Sie wären auch gern Teil der Runde, man sieht es ihnen an, obwohl sie versuchen, es zu verbergen. Gegenüber von uns sitzen Kim und Margrethe. Die beiden waren einmal ziemlich bekannt, sagt mein Vater. Margrethe ist die Älteste von allen, ich habe keinen ihrer Filme gesehen, obwohl sie in vielen mitgespielt hat. Sie trinkt Weißwein, ihr Lippenstift hinterlässt rote Spuren auf dem Glas und an der Zigarette, die sie ganz vorne zwischen Zeige- und Mittelfinger hält. Ich zeichne sie in Gedanken, zeichne die Kneipe, die dunkel getäfelten Wände, die Tische mit den vielen Brandflecken. An den Wänden hängen Fotos von Leuten, die ich nicht kenne. Sie lächeln oder heben ihr Glas. Die meisten haben mit schwarzer Tusche persönliche Grüße daruntergeschrieben.
Kim streitet sich mit Margrethe. Sie wendet sich von ihm ab und tut, als ob er nicht neben ihr säße. Er steht auf, nimmt sich einen anderen Stuhl und setzt sich neben mich.
In dem Theaterstück spielt er einen lebensmüden Landarzt, der über die Felder blickt und von der Großstadt redet.
»Bist du bereit?«, fragt Kim und zieht drei Münzen aus der Tasche.
Der Seemann sucht seinen Hut , nennt er diesen Zaubertrick. Ein anderer heißt Die Dame im Rübenacker . Er verwandelt Zigaretten in Papierservietten, Münzen verschwinden und tauchen unter meiner Saftflasche wieder auf.
Ich höre die Glocke läuten, mein Vater steht an der Bar und hält die Glockenschnur in der Hand. Ich weiß, was das bedeutet. Er zieht den weißen Briefumschlag aus der Tasche. Er fragt, ob ich noch einen Saft möge, ich schüttle den Kopf. Ich muss pinkeln und will nach Hause, sage aber nichts, schaue nur zu, wie das Geld über die Theke wandert und die Gläser gefüllt werden. Bier, Schnaps und Wodka. Die Leute klopfen meinem Vater auf die Schulter.
Daheim leert mein Vater den Briefumschlag aus. Es ist kaum noch Geld übrig.
Er sieht mich an: »Du fragst dich sicher, warum ich für alle einen ausgegeben habe, nicht wahr? Warum ich völlig Unbekannten ein Bier spendiert habe.« Ich nicke.
Er geht vor mir in die Hocke, und ich weiß, dass ich wieder in der Schule bin.
»Man kann nicht davon leben, unsichtbar zu sein«, sagt mein Vater. »Der Mann in deinem Comic, wie verdient der eigentlich sein Geld?« Darüber habe ich nie nachgedacht.
»Niemand bezahlt ihn dafür, dass er unsichtbar ist, stimmts?«
Nein, mein Vater hat recht.
»Ich wünschte, man könnte ohne Nummernschild Auto fahren, oder durch Schnee gehen, ohne Spuren zu hinterlassen. Aber das geht nicht. Also muss man sich auf andere Menschen
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