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Wie keiner sonst / ebook (German Edition)

Wie keiner sonst / ebook (German Edition)

Titel: Wie keiner sonst / ebook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas T. Bengtsson
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fragt, was sie da tue, aber Camilla antwortet nicht, reicht mir das Glas und flüstert mir ins Ohr: »Das wird dir helfen.« Nach ein paar Schlucken schmeckt es nicht mehr so eklig, und ich trinke es aus.
    Die Mädchen lachen, und ich lache mit ihnen. Sie stellen sich vor mich und benutzen mich als Spiegel.
    »Sehe ich so gut aus?« Bevor sie hinausgehen, richten sie ihre Brüste.
    Camilla füllt mein Glas noch einmal, diesmal mit weniger Saft.
    »Sag deinem Vater, dass ich ihn süß finde, ja, mein Schatz?« Ihr Parfüm riecht nach Äpfeln und Blumen. »Er kennt mich vielleicht besser unter dem Namen Candy.«
    Ich leere das Glas.
    Es ist früh am Morgen, als mein Vater mich durch den Stripclub trägt. Die Luft ist so dick vor Rauch, dass meine Augen tränen. Die Tische sind noch voller Flaschen. Glasscherben klirren unter seinen Schuhen.
    Mein Vater trägt mich ins Bett und legt ein nasses Handtuch auf meine Stirn. Es hilft ein bisschen, bis es genauso warm wie meine Haut ist.
    Mein Vater stützt meinen Kopf und gibt mir Wasser. Ich bekomme drei Schlucke herunter.
    Mein Vater sitzt auf der Bettkante und rauft sich die Haare. Er wirft das Jackett auf den Boden, raucht zwei Zigaretten und starrt an die Decke. Das Licht der Laternen scheint auf seine Wange, sein Ohr und den Hals. Mit einem Mal sieht er älter aus. Nicht nur ein paar Jahre, sondern viel älter.
    »Ich glaube, wir müssen bald umziehen«, sagt er.

1989

I ch sitze auf dem Boden, lehne mich an die Wand und lese mit der Taschenlampe ein Comic. Der Held kann sich unsichtbar machen. Mein Vater sitzt hinter dem Lichtpult und raucht, er dreht an ein paar Knöpfen, drückt auf andere. Vor ihm ist ein Loch in der Wand. Wenn er nicht mit den Knöpfen beschäftigt ist, guckt er durch das Loch.
    Manchmal dreht er sich um, und wir mimen zu den Stimmen im Theatersaal.
    Mein Vater sagt: »So was, Iwan, bist du auch gekommen, um die Morgensonne zu genießen …«
    Dann sage ich: »Oh, liebste kleine Olga. Die Morgensonne ist alles, was mir geblieben ist.«
    Wir sind seit vierzehn Tagen hier, ich weiß nicht, wie er die Arbeit am Theater bekommen hat.
    Der Comicheld macht sich nur unsichtbar, wenn er anderen helfen kann. Er fängt Bankräuber und Schurken, die alten Damen die Handtasche entreißen. Er bereichert sich nie selbst, stellt niemandem ein Bein, weil er ihn nicht leiden kann, auch wenn es eine Kleinigkeit für ihn wäre. Wenn er Bus fährt, legt er dem Fahrer Geld hin, bekommt aber nie eine Fahrkarte.
    Es fällt mir schwer, ihn zu verstehen. Ich folge den Bildern mit dem Finger.
    Am Ende des ersten Aktes steht mein Vater auf und geht zu dem Kassettenrekorder an der Wand. Er legt den Finger auf den Knopf, neigt den Kopf und hört genau zu. Wenn die Frau auf der Bühne gesagt hat: »Aber das wirst du nie verstehen. Du liebst nur deine Kunst, Iwan, du liebst nicht die Menschen«, zählt mein Vater langsam bis drei, dann drückt er auf den Knopf. Wellenrauschen und Möwenschreie füllen den Saal. Mein Vater setzt sich wieder ans Pult, drückt schnell ein paar andere Knöpfe und schiebt den großen Regler in der Mitte nach oben.
    Das rote Licht eines Sonnenuntergangs scheint durch das Loch.
    Der Saal ist nie mehr als halb voll. Wenn das Stück fertig ist, ist der Applaus spärlich und nicht im Takt. Einzelne Zuschauer klatschen laut und lange, wahrscheinlich weil die Karten so teuer waren, sagt mein Vater. Er raucht eine Zigarette, während der Saal sich leert. Dann schaltet er das Licht ein, und ich kann die Taschenlampe ausschalten. Er räumt auf, leert den Aschenbecher und spult die Kassette zurück.
    Es klopft, der Theaterdirektor steckt den Kopf zur Tür hinein. Er ist klein, die Haare stehen ihm zu Berge, als wäre er gerade aufgewacht. Obwohl es sein Theater ist, lächelt er verlegen. Als wir zum ersten Mal hier waren, bot er mir eine Limonade an, und seitdem wiederholt er an jedem Abend: »Geh rüber in die Bar und hol dir eine Limo.«
    Heute beachtet er mich nicht. Er nimmt einen Stuhl und setzt sich, gestikuliert nervös.
    »Der Vertrag, über den wir sprachen …«, sagt er.
    »Ja?« Mein Vater ordnet die Blätter, auf denen der Text der Schauspieler steht.
    »Es gibt da noch ein paar Details zu klären, aber du bekommst ihn so bald wie möglich.« Der Direktor schaut auf seine Hände. »Ich weiß, ich wollte ihn heute mitbringen …«
    Mein Vater raucht und bietet dem Direktor eine Zigarette an, der zögernd annimmt. »Wenn der Vertrag

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