Wie Kinder heute lernen
und fühlen sich überfordert. Sie haben Angst, die populäre Meinung, dass Genie und Wahnsinn eng beieinanderliegen, könnte richtig sein - oder das Vorurteil des sozial isolierten Einzelgängers oder der bebrillten unattraktiven Streberin. Hochbegabte Kinder können ihre Eltern mit Fragen geradezu bombardieren. Sie fordern permanent das Einhalten von Regeln ein und zeigen als Kleinkinder keine Toleranz, wenn die täglichen Abläufe nicht
so gestaltet werden, wie sie es sich wünschen. Zudem stellen sie viel früher als andere Kinder die natürliche Autorität der Eltern in Frage. Außenstehenden gegenüber haben Eltern oft Angst, ihre Kinder könnten als altklug angesehen werden. Es ist also nicht so unkompliziert, ein hochbegabtes Kind zu haben. Andererseits ist es aber auch lange nicht so problembehaftet, wie es oft vermutet wird.
Hartnäckig hält sich auch der Mythos, dass kluge wie hochbegabte Kinder oft durch Verhaltensstörungen auffallen. So ziehen Eltern verhaltensauffälliger Kinder, deren Schulleistungen Anlass zur Sorge geben, manchmal sogar den Rückschluss: Mein Kind ist hochbegabt. Psychologisch gesehen ist diese Selbstdiagnose für Eltern einfacher zu akzeptieren als die Erkenntnis, dass ihr Kind Erziehungsdefizite aufweist oder verhaltensauffällig ist. Und sie ist oft vom Wunschdenken der Eltern geprägt, dass ihr Kind etwas Besonderes sei. Tatsächlich aber legt nur ein kleiner Teil der hochbegabten Kinder ein besonders auffälliges Verhalten an den Tag. Meistens dann, wenn ihre Begabungen nicht entsprechend gefördert wurden und die Kinder sich gegen die Langeweile und das Unverständnis auflehnen. Festzuhalten ist, dass viele kluge Kinder nicht durch Verhaltensstörungen im Unterricht auffallen, sondern in erster Linie gute Schüler sind.
Sie begreifen den Unterrichtsstoff schneller und erledigen Aufgaben in kürzerer Zeit als die meisten ihrer Mitschüler. Manchmal »nerven« sie geradezu Lehrer und Mitschüler mit Fragen wie »Was sollen wir jetzt machen?« und haben drei Aufgaben in der Zeit erledigt, in der der Rest der Klasse erst eine Aufgabe beenden konnte. Häufig fordern sie permanent »neues Futter« für ihre Wissbegier. Aber kluge Kinder, die schnell lernen, fordern das im Gegensatz zu hochbegabten Kindern von ihren Eltern nicht unbedingt weniger ein. Hier müssen Eltern wachsam sein.
Auch ein Lehrer muss in einer Klasse mit über 30 Kindern ein hochbegabtes Kind erst einmal erkennen, um richtig reagieren zu können. Dies ist umso schwieriger, je weniger das Kind durch
brillante Leistungen auffällt. Hat er aber ein hochbegabtes Kind entdeckt, muss er nicht tatenlos zusehen: Schüler, die sich - im positiven Sinn - langweilen, können mehr Aufgaben machen als andere oder zusätzliche Dinge lernen, wie z. B. aus Eigeninitiative zusätzliche Vokabeln üben. Eltern sollten bei Problemen, die kluge Kinder zu Hause haben - und Langeweile ist ein wichtiges Problem -, den Kontakt zur Schule suchen.
Ein Einzelfall?
Thomas ist in der fünften Klasse des Gymnasiums. Seiner Englischlehrerin fällt nach wenigen Wochen auf, dass er mit den im Unterricht zu erledigenden Aufgaben viel früher fertig ist als seine Mitschüler. Danach blättert er immer im Buch. Dabei hat er den Kopf auf die Hand gestützt. Als die Lehrerin zu ihm geht und fragt: »Thomas, was machst du da?«, antwortet er: »Ich lerne schon einmal Vokabeln aus dem Verzeichnis hinten.« Die Lehrerin registriert das und beobachtet Thomas von nun an sehr genau. Bei der nächsten Gelegenheit, sagt Thomas auf die Frage »How old are you?« »I am nine.« Die Lehrerin ist verwundert. Alle anderen Kinder sind zehn oder elf Jahre alt. Auf die Frage, warum er denn erst neun sei, sagt Tho mas achsel zuckend: »In der Grundschule habe ich in der ersten Klasse nur Blödsinn gemacht. Da hat man mich nach drei Monaten in die zweite Klasse getan. Danach ging es besser.« Bei der nächsten Gelegenheit spricht die Lehrerin in einer Erprobungsstufenkonferenz über Thomas. Ihre Kollegen haben ähnliche Beobachtungen gemacht. Thomas hat dann auch die sechste Klasse übersprungen. Er ist inzwischen in der neunten und gehört dort immer noch zu den besten Schülern. Thomas hatte das Glück, sowohl in der ersten Klasse als auch auf dem Gymnasium Lehrer zu haben, die relativ schnell erkannten, dass er kein disziplinarisch auffälliges Kind ist, das stört oder im Buch herumblättert, sondern dass er einfach gelangweilt, weil unterfordert war.
Lange
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