Wie Kinder heute lernen
sein Quellengedächtnis zu diesem Zeitpunkt noch nicht funktioniert hat. Aber dafür hat das als Priming bezeichnete Lernen umso besser geklappt. Priming hängt vor allem von der Reifung der Großhirnrinde ab und nicht so sehr vom Hippokampus, eine ganz entscheidende Struktur des expliziten Gedächtnisses ( Abb. 5 , 6 ). Zusammen mit Teilen des Stirnlappens sind diese Gehirnareale verantwortlich für das Quellengedächtnis, welches sich als letzte Fähigkeit unserer vielfältigen Gedächtnisleistungen entwickelt. Entscheidend für die Funktionsfähigkeit des deklarativen Gedächtnisses ist der Hippokampus. Er ist eine der wenigen Gehirnregionen, in der nach der Geburt noch maßgeblich Nervenzellen gebildet werden - mehr als 20 Prozent der endgültigen Zahl an Nervenzellen entstehen erst in den ersten neun Monaten nach der Geburt.
Die Isolierung der Axone mit dem fettreichen Myelin dauert hier außergewöhnlich lange, was bedeutet, das eine schnelle und effektive Informationsweiterleitung in den ersten Lebensjahren im Hippokampus nur eingeschränkt möglich ist. Auch die Entwicklung eines wichtigen Nervenstrangbündels, Fornix genannt, das Informationen vom Hippokampus zum basalen Vorderhin und zu Teilen des Hypothalamus (den Mamillarkörpern) weiterleitet, erfolgt erst sehr spät. Damit beginnt diese Datenautobahn, die möglicherweise von großer Bedeutung für das Langzeitgedächtnis ist, nicht vor dem zweiten Lebensjahr ihre normale Arbeitsgeschwindigkeit aufzunehmen und ist erst mit Beginn der Schulzeit voll funktionstüchtig.
Abbildung 5 : Das menschliche Gehirn
Im oben gezeigten Gehirnschnitt wird seine komplexe innere Organisation deutlich: Die Großhirnrinde überwölbt alle anderen Gehirngebiete im menschlichen Gehirn. Informationen von den Sinnesorganen (Sehen, Hören, Berührung, Schmerz, Bewegung) gelangen in den Thalamus, der ersten großen Filterstation für eingehende Informationen in den Körper. Hier werden eingehende Signale wie bei einem Postamt weitergeleitet an die entsprechenden Großhirnareale. Bewegungen des Körpers werden in der Großhirnrinde initiiert und vom Kleinhirn konkret geplant, bevor sie über Brücke und Rückenmark als Signale die Muskeln erreichen. Hypothalamus und Hypophyse steuern den Hormonhaushalt des Körpers. Der Hirnstamm zeichnet verantwortlich für basale Lebensfunktionen (Atmung, Herzschlag, Schlaf-Wach-Rhythmus) und die generelle Aufmerksamkeit.
In der rechten Grafik sieht man, wie die Großhirnrinde (Cortex) in vier große Bereiche unterteilt wird: Im Hinterhauptlappen findet ein großer Teil der Verarbeitung von Sehinformationen statt, während im Scheitellappen Berührungen der Haut und unser räumliches Vorstellungsvermögen repräsentiert sind. Im Schläfenlappen nehmen wir Laute wahr, hier erfolgt die mentale Objekterkennung und bekommen Wörter ihre Bedeutung. Der beim Menschen auffällig große Stirnlappen ist die oberste Steuerzentrale für Bewegung, Handlung, Denken und Planen.
Aber es wäre falsch zu glauben, dass die einzelnen Gedächtnissysteme isoliert nebeneinander arbeiten. Im Gegenteil: Es gibt genügend Lernsituationen, wo alle Gedächtnissysteme ineinandergreifen. Ein Musterbeispiel für das komplexe Zusammenspiel der Gedächtnissysteme ist die Sprache: Die Bewegungskoordination der Stimm-, Gesichts- und Atemmuskulatur erfolgt durch das motorische Gedächtnis, das Faktengedächtnis wird gebraucht, um den Wörtern eine Bedeutung zu geben, und das, worüber gesprochen wird, kann eine Lebensepisode sein und entstammt dem autobiografischen Gedächtnis.
Abbildung 6 : Limbisches System
Das limbische System bildet eine ringförmige Ansammlung von Gehirnstrukturen, die den Balken (eine Datenautobahn zwischen den Großhirnhemisphären) umgeben. Für Lernprozesse von herausgehobener Bedeutung sind der Hippokampus und die Amygdala verantwortlich. Die Fornix ist ein Faserzug, der den Hippokampus mit einem wichtigem Teil des Hypothalamus, den Mammilarkörpern, verbindet und entscheidend an der Ausbildung des autobiografischen Gedächtnisses beteiligt ist. Der Gyrus cinguli ist eine der fundamentalsten Strukturen für die gefühlsmäßige Bewertung von Informationen.
Kurz- und Langzeitgedächtnis
Das Gedächtnis lässt sich nicht nur nach seinen Inhalten einteilen, sondern auch nach zeitlichen Gesichtspunkten: in Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis. Ein bestimmter Teil des Kurzzeitgedächtnisses wird heute funktionell als Arbeitsgedächtnis bezeichnet.
Weitere Kostenlose Bücher