Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wie Kinder heute lernen

Titel: Wie Kinder heute lernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Korte
Vom Netzwerk:
Wir benutzen es etwa, um bei komplizierten Rechnungen Zwischensummen abzuspeichern oder um am Ende eines Satzes noch zu wissen, wie er anfing. Dieser Speicher kann nicht mehr als sechs bis acht Elemente aufnehmen. Er befindet sich im Wesentlichen im Stirnlappen ( Abb. 5 ). Mit der Reifung des Stirnlappens verbessert sich deshalb auch das Arbeitsgedächtnis. Lange Zeit können Kinder nur ein oder zwei Elemente in ihrem Arbeitsspeicher aufheben, ab dem zwölften Lebensjahr sind sie dann imstande, ca. fünf Elemente zu behalten. Erst mit 25 Jahren erreicht das Arbeitsgedächtnis des Menschen seine optimale Leistungsfähigkeit! In vielerlei Hinsicht ist es damit das entscheidende Nadelöhr unser Gedächtnisleistungen: Es bestimmt unter anderem, wie lange wir uns auf eine Aufgabe konzentrieren und wie viele Gedankenschritte wir im Voraus planen können. Seine Leistungsfähigkeit wirkt sich auf alle Gedächtnisleistungen aus - je besser man sich konzentrieren kann, je mehr Fakten man im Kopf hin und her jonglieren kann, umso besser die Erinnerungsfähigkeit. Ein wunderbares Training des Arbeitsgedächtnisses ist übrigens das Lesen, da man sich mit vergleichsweiser großer Anstrengung etwa drei Minuten lang auf eine Seite konzentrieren muss, bevor man umblättert, und dabei Personen, Orte und Zusammenhänge der Geschichte zwischenspeichern muss.
    Während das Arbeitsgedächtnis in seiner Leistungsfähigkeit stark eingeschränkt ist (sechs bis acht Informationen gleichzeitig verarbeiten zu können ist nicht gerade eine beeindruckende Zahl), hat das Langzeitgedächtnis eine fast unerschöpfliche Speicherkapazität. Für autobiografische Erinnerungen und das Faktengedächtnis fungiert der Hippokampus als eine Art Filter, der entscheidet, welche Informationen länger abgespeichert bleiben
sollen und welche nicht. Der Speicherort selbst ist allerdings die Großhirnrinde. Was die Menge der Erinnerungen betrifft, die wir abspeichern können, macht die Großhirnrinde ihrem Namen alle Ehre: Es gibt ernst zu nehmende Berechnungen, die darauf hindeuten, dass Menschen in ihrem Langzeitgedächtnis den Speicherinhalt von zwei Millionen CDs (ca. 1,4 Petabyte) ablegen können. Die Sorge, das kindliche - und auch das eigene - Gedächtnis zu überfordern, ist also unbegründet. Im Gegenteil, wer seinen Kindern viel beibringt, ermöglicht ihnen, leichter Assoziationen zu neuem Wissen herzustellen und dieses dann umso sicherer abzuspeichern bzw. umso leichter zu erinnern. Wer bereits viel weiß, lernt leichter und schneller Neues.
Nadelöhre der Erinnerung
    Aber nicht nur ein Kind, das viel weiß, lernt viel. Ein Kind, das gerne lernt, lernt auch leichter. Denn positive - wie negative - Gefühle haben einen maßgeblichen Einfluss auf das Gedächtnis. Verantwortlich für die Steuerung unseres emotionalen Verhaltens ist das limbische System ( Abb. 6 ). Der Name »limbisch« leitet sich von lateinisch limbus (Saum) ab, da die dazugehörigen Strukturen den Balken (auch Corpus callosum genannt, eine Datenautobahn zwischen den beiden Großhirnhälften) wie ein Gürtel oder Ring umgeben. Das limbische System gliedert sich in die Amygdala (Mandelkern), den Hippokampus (Seepferdchen), Teile des Hypothalamus und die Gyrus cinguli. Wie ein Speichenrad schiebt es - mit dem Zwischenhirn als Nabe - von innen an die Großhirnrinde heran und kleidet sie so quasi von innen aus. Das limbische System ist der Filter, den die Informationen für das autobiografische und das Faktengedächtnis passieren müssen. Es ist zugleich die Instanz, die relevante Informationen aussortiert, mit Emotionen versieht und bündelt, bevor diese in weit verteilten Gebieten der Hirnrinde zur Ablagerung kommen.

    Diesen Prozess kann man sich ähnlich vorstellen wie die Verteilung von Briefen und anderen Sendungen in einem großen Postamt. Die neurobiologische Erkenntnis, dass das limbische System neben seiner Gedächtnisfunktion vor allem an der emotionalen Bewertung von Erlebnissen beteiligt ist, ist noch relativ neu. Lernen, Gedächtnis und Gefühle hängen also hirnanatomisch ganz eng miteinander zusammen. Entsprechend ist eine positive Einstellung dem Lernen gegenüber - gerade was Schulwissen angeht - eine wichtige Voraussetzung dafür, dass das Gelernte auch eingespeichert wird. Wer Kindern etwas beibringen möchte, sollte dies immer vor Augen haben. Geschieht Lernen unter Zwang und mit Widerwillen, statt spielerisch der Neugierde des Kindes folgend, speichert das Kind diese

Weitere Kostenlose Bücher