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Wie Kinder heute lernen

Titel: Wie Kinder heute lernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Korte
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Dopaminfreisetzung im Gehirn fördert. Das wiederum bewirkt, dass der Körper seine Stressreaktion auf Unbekanntes schnell wieder herunterreguliert. Man könnte auch sagen: Dopamin gewinnt gegen Adrenalin, Neugierde überwindet Angst. Auch in der zu
Beginn dieses Kapitels beschriebenen Situation können die Eltern diesen dem Stress gegenläufigen Mechanismus vorbereiten: z. B. indem sie ruhig darauf hinweisen, dass es für jeden eine Stresssituation ist, vor der Klasse zu sprechen - auch für den Lehrer. Das darf man sich durchaus eingestehen, es kommt darauf an, damit dann positiv umzugehen. Allein das Aufzeigen, dass es für alle in gewisser Hinsicht Stress bedeutet, Fragen des Lehrers zu beantworten, sollte den Kindern helfen. Eltern könnten das gemütliche Abfragen zu Hause auch unterbrechen und das Kind bitten, sich auf einen Stuhl zu stellen und von dort die Fragen zu beantworten. Oder aber sie halten eine kleine Belohnung parat, die das Kind aber nur bei richtiger Beantwortung der Fragen in kürzester Zeit erhält. Und auch hier gilt: Eltern sollten über diese und andere klar ersichtliche Stressübungen mit dem Kind sprechen.
Narben der Kindheit
    Neben einer akuten Stressreaktion in der Schule oder bei familiären Konflikten ist vor allem die Frage wichtig, welchen Einfluss (über Wochen oder Monate anhaltender) Dauerstress auf die Entwicklung eines Kindes hat. Kann Stress die Reifung des kindlichen Gehirns stören, und kann es so zu dauerhaften Schäden kommen? Hier sind die Forschungsergebnisse eindeutig: Was einem Kind bereits Dauerstress bereitet, führt dazu, dass es als Jugendlicher und Erwachsener noch stressempfindlicher wird. Die Stresskompetenz eines Erwachsenen ist mehr oder weniger eine Folge seines emotionalen Haushalts in der Kindheit.
    Stressempfinden und Gefühle stehen hierbei in einem engen Zusammenhang: Angstgefühle können zu Stressreaktionen führen ebenso wie Trauer - eine der größten Stresssituationen im Leben eines jeden Menschen. Auf der anderen Seite kann Freude Stress mindern. Entsprechend eng sind die Fähigkeit der Stressverarbeitung und die Entwicklung der Strukturen, die in Kindergehirnen Gefühle verarbeiten, miteinander verknüpft
(siehe Abb. 6 , Seite 66). Dabei ist auch die Reifung der Gehirnareale, die Gefühle verarbeiten und Stressreaktionen regulieren, ein Produkt aus Genen und Umweltbedingungen. Lange nahmen Gehirnforscher an, dass gerade die »Untergeschosse« des Gehirns sich allein nach einem genetisch vorgegebenen Plan entwickeln. Neuere Forschungsergebnisse, unter anderem von der Magdeburger Hirnforscherin Sabine Braun, belegen jedoch, dass Umwelteinflüsse, wie Aufmerksamkeit und Fürsorglichkeit der Eltern, einen nachhaltigen, dauerhaften und starken Einfluss auf die Gehirnentwicklung von Amygdala und Hypothalamus hat. Sie bestimmen, wie sich neuronale Schaltkreise auch in diesen Teilen des limbischen Systems etablieren. Bestimmte Komponenten unseres Gefühlslebens entwickeln sich in der Tat nicht, wenn ein Kind Erfahrungen wie Einfühlungsvermögen, Zuwendung und Aufmerksamkeit nie erlebt. Fehlen diese Komponenten, sind massive und leider auch dauerhafte Veränderungen in der Regulation von Stressreaktionen zu beobachten.
    Wegweisend waren hier Untersuchungen des amerikanischen Psychoanalytikers René Spitz. Er nahm in den 1940er Jahren eine Langzeitstudie an damaligen Waisenkindern vor. Damals wurden Waisenhäuser sehr spartanisch ausgestattet und nach fragwürdigen pädagogischen Konzepten geführt. Vor allem handelte man entsprechend der Auffassung, dass Kinder so wenig wie möglich umsorgt werden sollten. Die Folge war, dass es den in solchen Institutionen aufwachsenden Kindern nicht nur an einer intellektuellen Förderung, sondern vor allem an emotionaler Zuwendung fehlte. Dies zog irreversible Schäden nach sich: Jedes zehnte von Spitz untersuchte Kind koppelte sich von seiner Umwelt ab und war in seiner psychischen Entwicklung enorm zurückgeblieben. Darüber hinaus waren die Konzentrationen der Stresshormone wie Kortisol um ein Vielfaches dauerhaft erhöht.
    Fehlende Bindung, mangelhafte Zuwendung oder erhöhter Stress haben einen negativen Einfluss auf die Selektion der
Synapsen in den gefühls- und stressregulierenden Arealen des Gehirns: Auch nach der Geburt werden im limbischen System noch Synapsen auf- und wieder abgebaut, indem sich die Verschaltungen an die Umweltbedingungen anpassen, denen ein Kind ausgesetzt ist. Das Janusgesicht dieses

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