Wie Kinder heute lernen
Vorgangs ist, dass sich das Gehirn dabei an gute wie an schlechte Umweltbedingungen anpasst. Eine traumatische Erfahrung mit mangelnder emotionaler Zuwendung prägt sich hierbei genauso dauerhaft in das Gehirn ein wie Liebe und Fürsorge. So manifestieren sich Verschaltungsfehler im limbischen System bereits im Laufe der Kindheit, die im Erwachsenenalter zu Verhaltensstörungen, ja sogar zu psychischen Erkrankungen führen können. Eine besonders kritische Phase für die emotionale Entwicklung eines Kindes ist die zwischen dem 8. und 18. Monat, wie rumänische Waisenkindern gezeigt haben, die dort in den 1970er Jahren unter dem Ceauşescu-Regime aufgewachsen sind. Sie waren in extremer sozialer und gefühlsmäßiger Isolation groß geworden, ohne Zuwendung, Wärme und Bindung zu anderen Menschen. Selbst nach intensiver Therapie fiel es ihnen noch als Erwachsenen schwer, die Gefühle anderer Menschen durch deren Mimik oder Tonfall richtig einzuschätzen, was wiederum zu einer massiven Beeinträchtigung der interpersonalen Intelligenz sowie zu einem schlecht angepassten Stressnetz im Körper führt. Auch zu ihren neuen Pflegeeltern konnten die 12- bis 15-Jährigen nur schwer eine emotionale Bindung aufbauen, auf Fremde dagegen gingen sie angstfrei zu. Diese Kinder zeigten massive Stoffwechselabnormalitäten in bestimmten, für die Gefühlsentstehung beteiligten Regionen des Scheitellappens - die auch als Erwachsene noch deutlich vorhanden waren. Vor allem konstatierte man einen Aktivitätsmangel im vorderen limbischen System dieser Kinder. Aus Tierexperimenten kann man schlussfolgern, dass das »Ausjäten« von Synapsen in der frühen Kindheit unter sozialem Stress, Isolation und mangelnder emotionaler Zuwendung bzw. fehlender Bindung an Bezugspersonen
nicht funktioniert. Unter diesen Umständen gerät nicht nur das Gleichgewicht zwischen erregenden und hemmenden Synapsen durcheinander, sondern es verändern sich auch bestimmte Subtypen von Andockstellen (Rezeptoren) auf der Oberfläche von Nervenzellen, z. B. für die Rezeptoren von Dopamin und Serotonin.
Es bleibt festzuhalten, dass die unsichtbaren, aber dauerhaften Narben der Kindheit im Gehirn liegen.
Das »L«-Wort
Diese und andere Studien weisen auch auf einen entscheidenden Punkt hin, nämlich dass die Bindung eines Kindes an einen festen Bezugspartner für die Reifung des Gehirns, gerade wenn es um Gefühle und die Fähigkeit, mit Stress umzugehen, geht, förderlich ist. Mit anderen Worten: Kinder brauchen Liebe.
Dass liebevolle Zuwendung, die man seinen Kindern gibt und die diese vor allem in Situationen erfahren, in denen sie sich unter Druck fühlen, extrem wichtig für die kindliche Entwicklung sind, hat sich auch an Experimenten mit Affenbabys gezeigt. Haben hungrige Affenbabys beispielsweise die Wahl zwischen einer Drahtpuppe oder einer flauschigen Puppe, die ihnen Futter gibt, entscheiden sie sich eindeutig für Letztere. Genauso weiß man aus Tierexperimenten, dass sich Dauerstress in gleicher Weise negativ auf das Körperwachstum und die Gehirnreifung auswirkt.
Auch eine Studie an Kindern belegt die Bedeutung von Liebe und Zuwendung für das Heranwachsen von Kindern exemplarisch. Sie ist ein Zufallsprodukt der Nachkriegsjahre in Deutschland, bei dem ungeplant die Daten von zwei Waisenhäusern verglichen wurden, die in allen Eckpunkten genau gleich waren. So waren beide Häuser vom Staat getragen, es gab das gleiche Essen, die gleiche Anzahl von ärztlichen Untersuchungen und das gleiche Betreuungsverhältnis zwischen Betreuern und Kindern.
Beide Waisenhäuser wurden hauptamtlich von jeweils einer Leiterin geführt - die aber unterschiedlicher nicht hätten sein können. Frau Grün war eine warmherzige und zärtliche Mutterfigur, spielte viel mit den Kindern, umarmte sie häufig, sang gerne und brachte sie zum Lachen. Frau Schwarz aus dem anderen Waisenhaus dagegen hatte ihren Beruf komplett verfehlt: Sie mied jeden Kontakt mit den Kindern, kritisierte diese, wo es nur ging, und stellte mit Vorliebe einige Kinder vor der gesamten Gruppe bloß. Aufgrund der ärztlichen Untersuchungen lagen nun für beide Häuser in gleicher Regelmäßigkeit Daten über die Wachstumsraten und die kognitive Entwicklung der Kinder vor. Sie zeigten, dass die von Frau Schwarz betreuten Kinder - trotz gleicher äußerer Bedingungen - wesentlich langsamer wuchsen und in kognitiven Tests schlechter abschnitten als die Kinder, für die Frau Grün verantwortlich war. Durch
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