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Wie kommt das Salz ins Meer

Wie kommt das Salz ins Meer

Titel: Wie kommt das Salz ins Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Schwaiger
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danach fragt, ja, ich spüre dich gern, und wie hast du es denn am liebsten, daß weiß ich nicht, vielleicht hab ich alles am liebsten mit dir, ich mag deinen dicken Bauch, Albert, sei nicht frech, nein, wirklich, ich bete deinen Bauch an. Es muß ja Frauen geben, die Bauch mögen, dafür sorgt die Natur, weil ja auch nach jedem Krieg mehr männliche Säuglinge als weibliche auf die Welt kommen, und wenn die Männer dick werden, beginnen die Frauen Bäuche zu mögen, und Rolf ist viel zu mager, außerdem hat er Draht unter der Haut, von seiner Milzoperation, den spürt man, also gut, dafür kann er nichts, außerdem habe ich ihn wegen des Drahts eigentlich immer sehr gemocht, aber er macht jeden Abend Kniebeugen und läßt die Zehen kreisen. Rede nicht über Rolf, sagt Albert. Wir werden über niemanden reden, niemanden, nicht einmal über uns, warte noch, ja, ich warte doch, Dummkopf, ich will ja, daß du kommst, liebst du mich denn? Albert antwortet nicht. Ich glaube, so was fragt man nicht in so einer Konstellation. Ich bin still und lasse seinen großen Seufzer über mir zerbrechen und in Splittern auf mich herunterregnen, und erschöpft liegen wir dann auf unserer griechischen Insel, jeder in sich zurückverbannt. Morgen wieder? Ja, morgen wieder.
     
    Du warst bei Karl? Was redest du denn mit ihm? Liest er dir Gedichte vor? Nein, wir sprechen über Gesellschaftspolitik. Was hat unser Karl denn für Ansichten? Diffuse. Von einem Alkoholiker darfst du dir auch nichts anderes erwarten, sagt Rolf und umarmt mich konspirativ.
    Ich gehe manchmal auch zu Karl. Er beschäftigt sich jetzt sehr mit seinem Direktor, der eine Sonderschulklasse an seiner Schule mitführt, obwohl es nicht genug Sonderschüler gibt, und da hat er einfach einige Kinder zu Halbidioten erklärt, denn so eine Sonderschulklasse bringt mehr ein, und trotzdem ist Karls Direktor manchmal höchstens eine Stunde lang in der Schule anzutreffen, weil er als Jäger, Fischer und Grundstücksbesitzer viel zu tun hat. Mitglieder des Landesschulrats haben Jagdrecht im Revier von Karls Direktor, also übersieht der Schulinspektor diese Dinge, und an einer anderen Schule in einem anderen Ort ist es umgekehrt, sagt Karl, dort schreibt man sonderschulreife Kinder einfach hauptschulreif, um es sich mit den Eltern nicht zu verderben. An der Schule ist ein Direktor, der während der unterrichtsfreien Zeit Schüler der Hauptschule in seiner Baumschule arbeiten läßt, für einen Stundenlohn von zehn Schilling. Karl hat ihn angezeigt, aber das Verfahren wurde ohne Anhörung von Zeugen eingestellt. Die Volksschullehrer, die davon wußten, haben Karl Unkollegialität vorgeworfen. Und da soll ich noch meine Gedichtchen schreiben? Karl liest viel, und manchmal findet er in einem dicken Buch einen Satz, den er herausstreicht. Er möchte diesen einen Satz zu einem ganzen Buch machen, weil alles, was rund um den Satz gesagt wird, überflüssig ist. Aber dann, sagt Karl, löse ich zwei Schlaftabletten im Bier auf und trinke mich in einen Taumel, der mich aufs Bett wirft, jedesmal in der Hoffnung, daß der Kreislauf es diesmal vielleicht nicht mehr schafft.
    Ich bin ein Brunnen mit viel Wasser, sagt Karl. Der Deckel muß eingeschlagen werden. Ob sich das lohnt? Vielleicht ist das Wasser faulig? Er wird erst dann wieder schreiben, wenn sich das mit dem Deckel irgendwie gelöst hat. Ich finde, man kann Brunnendeckel auch abheben. Man braucht nur die richtigen Werkzeuge. Karl hat so viele Flügelmappen mit Material. Er müßte einmal alles ordnen und in Kapitel zwängen. Aber es quillt immer wieder zwischen den Fingern heraus, wenn man das Leben anfaßt, sagt er, quecksilbriges Material ist das. Quecksilber macht Spaß, aber es ist auch giftig, und die heiteren Romane, die sich manche Schriftsteller abzwingen, daran sind schon einige gestorben. Er macht Notizen, weil ihm das Leben erträglicher wird, wenn er Teile daraus hin und wieder beschreiben kann. Weil er beim Aufschreiben zum genaueren Empfinden und Denken kommt. Er glaubt, daß Menschen schriftlich besser mit sich reden lassen als mündlich. Beim Lesen sind sie ja aufmerksamer und weniger eitel.
     
     
    Mutter ist froh, daß ich eine gute Ehe führe. Sie sagt, daß mein Vater sie nicht verstehe. Großmutter sagt, sie hat mit Großvater allerhand mitgemacht. Vater sagt, daß Großmutter Großvater nie verstanden hat. Großmutter sagt, daß Vater Mutter mehr achten soll. Vater sagt, daß Mutter ihn nicht

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