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Wie kommt das Salz ins Meer

Wie kommt das Salz ins Meer

Titel: Wie kommt das Salz ins Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Schwaiger
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Geschehnisse, über Motorräder, die seine berufstätige Frau nach den USA disponierte, während er in seinem Verwaltungsturm hockte und sich den Kopf über organisatorische Verbesserungen und kostensparende Aktivitäten zerbreche, und früher schickte er Lyrikbände mit jeweils einem eigenen beigelegten Gedicht. Und jetzt jagte er kleine Gauner und schwirrte im BMW-Werk herum, berichtete über die Produktionskapazitäten von Opel, VW und Ford, und man müsse die Durststrecke überstehen, und daß er selbst noch seinen alten Fiat fahre, und daß bei seiner Frau die betroffene Niere wegen Senkung wieder etwas höher angebunden werden müsse und sie sich pudelwohl fühle, und für zwanzig deutsche Mark Konsultation alle drei Monate hielten sogar seine Divertikel am Darm still, und im Garten habe er Flieder und Forsythien, mit Garage zahle er monatlich dreihundertfünfzig deutsche Mark. Der hat sich geändert, sagt Mutter, aber vielleicht hat ihn seine Frau so gemacht. Sie unterschreibt ja die Briefe nie. Vielleicht deswegen? Aber noch ein anderer war im Krieg, den Mutter gerettet hat, und der wollte sie heiraten, aber er schrieb Katarrh falsch, und mein Vater fand das unmöglich und sagte, er würde Mutter zu sich emporziehen, und sie verlobten sich am Nachmittag des Vormittags, als Mutter bei einer Beinamputation ohnmächtig wurde, da verliebte sich Vater endgültig in die Krankenschwester mit den kaputten Füßen. Wenn Mutter sich unbeobachtet fühlt, fallen ihre Mundwinkel herab. Sie glaubt, ich habe nicht zugehört. Der Wein ist schuld, daß sie so viel geredet hat und ein bißchen geweint. Großmutter sagt, die grundlose Traurigkeit kommt oft, aber mit dem Alter kommt auch die Zufriedenheit, denn wer alt ist, der wünscht sich nichts mehr, und alles Nichtgewünschte hat er hinter sich.
     
     
    Wenn Albert aber wirklich Krankenbesuche macht, denn er kann ja die Leute nicht sterben lassen meinetwegen, oder doch, meinetwegen könnte er, dann lege ich mich aufs Bett, lasse das Fenster einen Spalt offen, und der Straßenlärm kommt wie Schlummergebrumm, jedes Auto, das vorbeifährt, ist grau, Sonnenstrahlen bündeln sich durch die Vorhänge, man verliert das Bewußtsein, gleitet in einen Sog wie in einen Tod, ängstigt sich nicht mehr, dann klingelt das Telefon, die Schwiegermama fährt zum Einkaufen nach Linz und möchte wissen, ob man etwas braucht. Ich fahre mit, im Autobus sitzen Schulkinder und verbreiten einen eigentümlichen Geruch, den man selbst verbreitet hat als Schulkind. Wie gut war es, ein Schulkind zu sein und nicht zu wissen, wie gefährlich man lebte, und in Linz kaufe ich schwarze Unterwäsche, um meinem Leben wieder einen Sinn zu geben. Die Verkäuferin behauptet bei jedem Stück, das ich anprobiere, daß sie das selbst auch trägt, und sie soll ruhig sehen: Albert hat meine Schultern mit Flecken gebrandmarkt. Ich gehöre ihm. Meine Brüste sind größer geworden unter seinen Lippen. Seine Erfahrung, seine Befehle, mein Gehorchen, sein: Laß dich gehn! Laß dich doch einmal gehen! Er bestimmt, wann es soweit zu sein hat. Daß es trotzdem nie soweit ist, liegt daran, daß ich immer daran denke und daß Rolf mich verpatzt hat. Für Rolf sind alle Frauen normal, nur ich nicht. Albert sagt, daß es keine normalen Frauen gibt, nur blöde Männer, und daß man die Steigung von selbst nimmt, gerade wenn man nicht daran denkt, passiert es, und daß es für eine Frau auch ohne Höhepunkt schön ist. Er liebt meine Fröhlichkeit. Ich kaufe alles, was schwarz ist. Die Verkäuferin glaubt, daß sie es wieder einmal geschafft hat. Meine Fröhlichkeit kommt daher, daß ich mich auf Alberts Fröhlichkeit freue. Blitz darf unter der Gefängnismauer im Stadtpark laufen, obwohl es verboten ist. Wir werden alle Verbote aufheben. Die Leute bekommen Geier- und Truthahngesichter vor lauter eingehaltenen Verboten. Ich schreibe einen Brief an Albert: Hören wir auf mit den Lügen! Bediene nicht gleichzeitig das Lenkrad und mich, wenn wir im Auto fahren! Aber der Brief darf nicht abgeschickt werden. Ich wate in zerknüllten Sätzen, weil Albert meine Zurückhaltung liebt.
     
    Es gibt mehrere Wege. Der eine führt im Westen aus der Stadt hinaus, vorbei am Café Lichtenauer und über die Stadtgrabenbrücke. Dort ist früher ein Turm gestanden, man sieht noch die Rundungen der Grundmauern. Der Turm ist irgendwann abgebrannt. Man überquert die Umfahrungsstraße und gelangt zu einem Parkplatz. Ein riesiger Parkplatz für ein

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