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Wie kommt das Salz ins Meer

Wie kommt das Salz ins Meer

Titel: Wie kommt das Salz ins Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Schwaiger
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hat er noch kein einziges Mal gebellt. Vielleicht ist er gar kein richtiger Hund? Er hat Blasenkatarrh und Mittelohrentzündung, aber Rolf sagt, er wird einen Hund aus ihm machen, ich soll mich nicht sorgen. Auf den Platz, Blitz! Blitz saust ins Gästeklo. Komm zurück! Er flitzt um die Ecke und sitzt schon wieder da. Auf den Platz! Er saust um die Ecke. Komm! Ist schon wieder da. Rolf merkt, daß Blitz schwindelt. Er saust nicht mehr bis ins Gästeklo, wenn ihm Platz befohlen wird, er saust nur hinter die Ecke und wartet dort, weil er weiß, daß ihm gleich wieder Komm befohlen wird. Wir sind beide stolz auf die Intelligenz unseres Kindes, aber Rolf muß trotzdem zum Erziehungsmittel greifen, weil Konsequenz alles ist.
     
     
    Mein Mann wirft Wörter aus, und sie fallen dorthin, wo er sie haben will. Meine Wörter haben kein Gewicht. Sie schweben sichtbehindernd im Raum. Ich kann sie alle wieder einfangen. Hörst du zu, wenn ich mit dir rede? fragt Rolf. Ja. Woran denkst du? An das, was du sagst. Was habe ich gesagt? Daß ich dir heute abend keine Schande machen soll. Und? Daß ich nett sein soll mit Albert und Hilde. Und? Und gesprächig. Weiter? Daß ich den Armreifen nicht trage, den du mir geschenkt hast, und daß du bereust, mir den silbernen Bleistifthalter deines Großvaters geschenkt zu haben, weil ich ihn verschlampt oder verloren habe. Komm, sagt Rolf, laß dich küssen. Er streichelt und lobt mich, sei nicht so steif, küß mich richtig, knöpfe deine Bluse auf, sieh mir in die Augen. Man sieht rundherum das Weiße, ich habe aber diese Augen einmal geliebt, und ich bewahre ein Foto auf, da sitzt Rolf in einem Fauteuil im Wohnzimmer meiner Eltern, er lacht, seitlich, seine Nase habe ich so gemocht, sein verrutschtes Hemd, seine Manschetten habe ich gemocht. Ein richtiger Mann, dachte ich, und wenn ich im Zweifel war, ob ich ihn noch liebte, suchte ich das Foto heraus und wußte: Ja, den liebe ich. Küß mich! Früher hat er das nicht so grob gesagt, da tat ich es wahrscheinlich freiwillig. Ich stelle mir vor, wir spielen eine Filmszene. Das half immer. Wenn ich etwas angestellt hatte und vor den Eltern Rechenschaft und Reue ablegen mußte, dachte ich, daß ich ein Kinderstar bin, der seine Rolle spielt. Ton ab, Bild ab, siebenundzwanzigste Einstellung: Frau küßt Mann. Er knöpft sein bügelfreies und silanisiertes Hemd auf, wirft es auf den Boden, benimmt sich plötzlich wie ein Junggeselle, und ich denke nur daran, daß ich es waschen muß. Aber jetzt ist ihm das Hemd nicht wichtig, und die Haut zwischen meinen Schenkeln ist empfindlich. Was er tut, ist Leichenschändung. Ich denke noch immer, daß ich das Hemd dann wieder waschen und bügeln muß.
    Später zieht er seine Armbanduhr auf. Das ist eine seiner Gewohnheiten, an der Schraube zu drehen, sein Daumen ist breit, er hält die Uhr gegen das Ohr, hört sich an, wie Zeit, Zeit, Zeit vertickt. Ein Tag hat vierundzwanzig, eine Stunde sechzig, mal sechzig, mal sechzig, sechsundachtzigtausendvierhundert Sekunden verticken jeden Tag. Wie viele Tage sind wir schon verheiratet? Er fürchtet sich nicht, daß uns etwas weglaufen könnte.
    Was sollte ich fürchten?
    Denkst du nicht manchmal, daß du blind werden könntest auf einem Auge und dann denken wirst: Wieviel ließ es mich sehen!
    Man sieht noch so halbwegs mit einem Auge.
    Oder, daß du sterben wirst?
    Das muß jeder.
    Woran denkst du, wenn du an deinen Tod denkst?
    An meine Lebensversicherung. Das willst du doch hören, oder? Du willst doch immer nur bestätigt haben, daß ich der Trottel bin, für den du mich hältst?
     
    Als Karl noch Geschichten schrieb, las ich in einer: Und dieser Kuß schmeckte nur noch nach Fleisch. Es gab eine Zeit, da schmeckten Rolfs und meine Küsse nicht nach Fleisch. Wir fragten uns, ob man sich einen Kuß nähme, indem man ihn küßte. Ob jeder Mensch eine unbegrenzte oder eine begrenzte Anzahl von Küssen habe. Wir besprachen das, während wir uns küßten. Als ich noch seine Knöpfe aufknöpfte und er meine. Als ich ihn noch unterbrechen durfte beim Küssen, ohne daß er gefragt hätte: Was ist? Warum bist du so steif? Deine Theorie von den endlichen Küssen ist richtig, sagte er einmal. Denn wenn man immer nur küßte, würde man ja verhungern. Und wir küßten uns dafür sehr lange.
     
    Es geschieht etwas, während wir essen, es pulst etwas in mir, ein Ton klingt, und Rolf legt die Gräten an den Rand seines Tellers, Hilde erklärt uns antiautoritäre Erziehung,

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