Wie Krähen im Nebel
schaffen Sie nie!»
Rosl Meiers Beine rutschten langsam an der Wand herunter, sie selbst wurde zwischen Tür und Wand eingeklemmt, weil der Druck von der andern Seite nicht nachließ.
«Es reicht», sagte Laura zu den beiden Männern, die jetzt neugierig um die Tür lugten.
«Alle Achtung», keuchte Baumann.
Laura runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf.
«Mach mal langsam! Ich glaube, hier stimmt etwas nicht.»
Sie berührte Rosl Meier an der Schulter.
«Frau Meier, Sie können jetzt rauskommen. Es besteht keine Gefahr. Niemand will Ihnen etwas zuleide tun. Können wir uns vielleicht irgendwo hinsetzen und miteinander reden?»
Rosl starrte erschrocken hinter der Tür hervor.
«Die Polizei muss dableiben», keuchte sie. «Wenn die nicht dableiben, dann red ich mit niemand!»
«Ich bin von der Polizei, Frau Meier.» Laura zeigte ihren Ausweis, doch die dicke Frau schien nicht zu begreifen. Laura winkte zwei der uniformierten Kollegen herbei.
«Ist es so besser?», fragte sie.
Rosl Meier schaute die Beamten sehr lange an, nickte endlich und löste sich zögernd aus dem Winkel hinter der Tür. Mit schlurfenden Schritten, sich immer wieder nach den Polizisten umwendend, ging sie in die Wohnküche und sackte auf einem Stuhl zusammen. Nur kurz musterte Laura das zerstörte Gesicht der Frau, die narbige, schlaffe Haut, das fettige, ungepflegte Haar. Es erschien ihr indiskret, genauer hinzusehen, schmerzte sie irgendwo oberhalb des Sonnengeflechts. Alltägliches Elend auszuhalten, hatte Laura schon immer als schwierig empfunden. Es erschien ihr hoffnungsloser als andere Formen der Verzweiflung. Was sollte sie diese Frau fragen? Eine vernünftige Antwort war kaum zu erwarten. Irgendetwas musste Rosl Meier zugestoßen sein – etwas, das möglicherweise mit dem Mord im Eurocity zu tun hatte. Doch es konnte natürlich auch sein, dass Rosl schon vorher verwirrt war.
«Sehen Sie, Frau Meier?», sagte Laura leise. «Die Polizisten bleiben da und beschützen Sie. Die helfen Ihnen, aber die brauchen auch Ihre Hilfe.»
Rosl warf Laura einen flüchtigen Blick zu, starrte plötzlich mit gerunzelter Stirn auf die verschnörkelte Wanduhr undsprang so heftig auf, dass ihr Stuhl krachend zu Boden fiel. Alle im Raum zuckten zusammen.
«Heiliger Josef!», rief Rosl. «So lang hat’s noch nie g’schlafen!» Sie starrte in die Gesichter der Polizisten, lief dann verblüffend behände aus der Küche und blieb vor einer Tür am Ende des Flurs stehen. Alle folgten ihr, und wieder schaute sie mit einem gleichzeitig erschrockenen und abwesenden Ausdruck in die Gesichter der Fremden. Endlich drückte sie auf die Klinke, einmal, zweimal, rüttelte schließlich heftig, doch die Tür ließ sich nicht öffnen.
«Jemand hat abg’sperrt!», schrie Rosl. «Die war’n da! Die ham mei Mutter eing’sperrt, damit’s mich umbringen können!»
Peter Baumann legte seine Hand auf Rosls Arm.
«Beruhigen Sie sich, Frau Meier. Wir schauen jetzt in aller Ruhe zusammen nach, wo Ihre Mutter ist. Vielleicht hat sie sich ja selber eingeschlossen. Wie alt ist sie denn?»
Aber Rosl rüttelte weiter an der Tür.
«Mama!», schrie sie. «Mama!»
Peter Baumann versuchte Rosl von der Tür wegzuführen, doch sie riss sich los und schlug nach ihm. Die beiden Polizeibeamten wollten ihm zu Hilfe kommen, aber Laura hielt sie zurück.
«Fasst sie nicht an, sonst bekommt sie noch mehr Angst! Wir gehen am besten zurück in die Küche, damit sie uns nicht mehr sieht.»
«Wenn Sie meinen, Frau Hauptkommissar», murmelte einer der Kollegen zweifelnd. «Die ist allerdings verdammt stark. Die könnt den Kommissar glatt umhauen!»
«Der hält das aus», antwortete Laura und kehrte hinter den beiden Beamten in die kleine Küche zurück. Dort blieben sie stehen, drehten sich beinahe gleichzeitig um und lauschten.
«Psst!», hörten sie Baumann sagen. «Wir müssen ganz still sein, Frau Meier. Dann können wir Ihre Mutter hören, wenn wir jetzt nach ihr rufen. Wollen Sie rufen oder soll ich?»
Rosl Meier war tatsächlich still.
«Meine Mama hört nicht gut», sagte sie plötzlich, als hätte sie ihren Verstand wieder gefunden.
«Deshalb müssen wir erst einmal laut klopfen. Das mach besser ich, meinen Sie nicht?»
«Ja», flüsterte Rosl, und Laura bewunderte Baumanns Geschick und die Selbstverständlichkeit, mit der er die verwirrte Frau behandelte.
Baumann klopfte sehr kräftig an die Tür. Selbst Schwerhörige mussten diese Schläge wahrnehmen. Doch es
Weitere Kostenlose Bücher