Wie Krähen im Nebel
Ihnen wissen wollen, ist sehr wichtig: Haben Sie etwas Ungewöhnliches beobachtet, als Sie in den Zug eingestiegen sind, um zu arbeiten? Einen Menschenin der Nähe der Toilette, jemand, der später als die andern den Zug verließ. Irgendwas?»
Der kleine Junge umfasste die Beine seiner Mutter so heftig, dass sie beinahe das Gleichgewicht verlor. Sefika ruderte mit den Armen, der Kleine lachte, und als auch Laura und Baumann zu lachen begannen, stimmte Sefika ein. Dann griff sie nach ihrem Sohn, nahm ihn auf den Arm und drehte den Kopf weg, weil er sofort anfing, an ihrem Kopftuch zu zupfen.
«Ja!», sagte sie atemlos. «Ich habe gesehen. Nicht richtig, aber gesehen. Da war Mann mit schwarze Kleider. Ganz weit weg. Nur kurz gesehen. Dann weg.»
«Mann mit schwarze Kleider, dann weg», wiederholte Peter Baumann, als sie wieder auf der Wörthstraße standen. «Ich liebe Zeugenaussagen, die so ergiebig sind.»
Der Boden unter ihren Füßen erbebte, weil gerade eine Straßenbahn vorüberdonnerte. Der große schwarze Hund lag inzwischen vor dem Fahrradgeschäft und schlief.
«Es riecht nach Curry», sagte Laura.
«Wie bitte?»
«Curry!» Suchend schaute Laura sich um. «Indische Gewürzmischung!» Triumphierend wies sie auf das indische Restaurant im Nebenhaus.
«Hast du Hunger?», fragte Baumann.
«Nein, aber ich liebe Haidhausen. Es riecht.»
Baumann hob erstaunt die Augenbrauen.
«Es gibt Stadtviertel, die riechen, und solche, die stinken oder neutral sind», erklärte Laura. «Wenn etwas riecht, dann ist es lebendig. In Haidhausen riecht es nach Knoblauch und Kaffee, nach frischen Brezen und Döner Kebab, nach Curry und Kohlenkeller, nach Bier und Metzgerladen, nach Hundepipi und …»
«… Heizöl», warf Baumann ein.
Laura sah ihn irritiert an. «Okay, auch nach Heizöl. Und es gibt zwei Kaffeehäuser, die einmalig auf der Welt sind. In eines davon lade ich dich ein, wenn wir mit dieser Rosl Meier gesprochen haben.»
«Wieso kennst du dich denn so gut aus hier?», fragte Baumann, der eingefleischter Schwabinger war.
«Naja, warum wohl», erwiderte Laura. «Ich wohne immerhin seit ein paar Jahren in Haidhausen. Der schwarze Riesenhund heißt übrigens Alan.»
«Oh», sagte der junge Kommissar, verbeugte sich leicht vor dem flauschigen Fellberg. «Angenehm, Baumann.» Doch der Hund schnarchte leise weiter.
«Glaubst du, dass Sefika Ada wirklich einen schwarzen Mann gesehen hat?», fragte Laura, während sie neben Baumann Richtung Ostbahnhof ging.
«Keine Ahnung! Vielleicht hat sie es nur gesagt, damit wir zufrieden abziehen. Mit dieser Aussage können wir ohnehin nichts anfangen.»
Laura zupfte an Baumanns Jackenärmel. «Riech mal!»
Prüfend hielt er die Nase in die Luft, grinste dann und murmelte: «Zimtsterne gemischt mit Apfelstrudel und frischen Semmeln.»
«Wunderbar, nicht wahr? Café Reichshof. Noch ein Geruchserlebnis.»
«Ermitteln wir, oder übst du gerade für den Job als Reiseleiterin?», fragte Baumann. «
Reichshof
ist übrigens ein schrecklicher Name für ein Kaffeehaus.»
«Stimmt! Aber sie machen hervorragende Laugenstangen. Einen halben Meter lang und ganz dünn!»
«Noch was?» Baumann blieb stehen.
«Rundgang beendet», sagte Laura. «Wo wohnt denn diese Rosl Meier?»
«Hier links und dann wieder links. Es ist eine kleine Seitenstraße vom Johannisplatz.»
Die Luft war so feucht vom Nebel, dass von den kahlen Bäumen dicke Tropfen fielen. Das Kopfsteinpflaster der schmalen Gassen glänzte schwarz vor Nässe. Die Menschen, denen Laura und Baumann begegneten, gingen schnell, mit hochgezogenen Schultern, als könnten sie sich auf diese Weise vor der feuchten Kälte schützen. Zu Fuß waren es nur zehn Minuten von der Wörthstraße zum Haus der Rosl Meier. Laura und Baumann legten die Köpfe in den Nacken und sahen an dem hohen graubraunen Gebäude empor, das sicher seit zwanzig Jahren nicht mehr renoviert worden war. Der Klingelkasten war schmuddelig. Handgeschriebene Zettel zeigten die Namen der Mieter an. Meier machte eine Ausnahme. Meier stand auf einem ordentlichen kleinen Metallschild.
Als Baumann gerade auf den Klingelknopf drücken wollte, öffnete sich die Tür und eine kleine alte Frau kam heraus, zog einen struppigen Hund mit großen Ohren und zu kurzen Beinen hinter sich her.
«Zu wem woll’n S’ denn?», fragte sie neugierig.
«Zu Frau Meier», antwortete Laura.
«Zur alten oder zur jungen?»
«Zur alten!» Laura hielt diese Antwort für
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