Wie Krähen im Nebel
kam keine Antwort, blieb ganz still, und Laura begann zu ahnen, was sie hinter dieser verschlossenen Tür erwartete.
«Frau Meier», sagte Baumann jetzt. «Ich glaube, wir sollten die Tür aufbrechen. Vielleicht ist Ihre Mutter krank und kann nicht antworten.»
«Ja», flüsterte Rosl wieder. «Die Tür aufbrechen. Das müssen wir. Wahrscheinlich ist sie krank …»
«Kommt ihr mal her, Kollegen», rief Baumann. «Mein rechter Fuß ist bereits Matsch. Ich möchte nicht auch noch meine Schulter opfern.»
Laura sah zu, wie einer der jungen Polizisten sich gegen die Schlafzimmertür der alten Frau Meier warf. Zweimal musste er es tun. Das Schloss war offensichtlich von guter alter Qualität – dann flog die Tür auf, der Polizist flog mit ihr ins Zimmer, hielt sich mühsam aufrecht, kam am Fußende eines breiten altmodischen Ehebetts zum Stehen und wandte sein erschrockenes Gesicht zur Tür.
«Ruft’s den Notarzt!»
Ehe die andern Rosl Meier zurückhalten konnten, war sie schon neben dem Bett, warf ihren massigen Körper über diealte Frau, drückte sie, schüttelte sie, kroch endlich zu ihr ins Bett und wiegte sie in ihren Armen wie eine Puppe.
«Lasst sie», sagte Laura. «Aber ruft den Notarzt!»
Die vier Polizisten zogen sich in den Flur zurück, schauten verwundert und erschrocken auf das Bild, das sich ihnen bot. Rosls Gesicht zeigte einen wilden Ausdruck. Ihre Augen glänzten, das Haar fiel über ihre Stirn. Breit saß sie mit gekreuzten Beinen im Ehebett ihrer Eltern und hielt den winzigen ausgemergelten Körper ihrer Mutter in den Armen. Wiegte dieses Häuflein Haut und Knochen hin und her, hin und her, presste es an ihre großen Brüste, als könnte sie es nähren.
Laura lehnte kurz ihre Stirn an Baumanns Schulter, kehrte dann mit den andern in die Küche zurück, um auf den Notarzt zu warten. Aus dem Schlafzimmer der alten Frau Meier hörte man ein Summen, mit dem Rosl ihre Mutter wiegte, und das Knarren des Bettgestells.
Baumann seufzte laut.
«Der Schlüssel steckte innen an der Tür!», sagte er leise. «Sieht so aus, als hätte die alte Frau sich eingeschlosssen, ehe sie zu Bett ging.»
Danach schwiegen sie, bis der Arzt und die Sanitäter Rosls Wohnung betraten, fingen sie schnell ab, bremsten ihren Tatendrang. Baumann erklärte dem Arzt die Situation mit leisen Worten, und Laura war froh, dass kein Dr. Standhaft geschickt worden war, sondern ein freundlicher junger Mann, der offensichtlich begriff, was Baumann ihm zu beschreiben versuchte. Jedenfalls bedeutete er seinen Helfern zu warten, betrat das Schlafzimmer sehr behutsam, setzte sich ans Fußende des Bettes und ließ zunächst die Szene auf sich wirken.
Nach einer Weile bat er Rosl, die Mutter auf die Decke zu legen, damit er ihr helfen könne. Zu Lauras und BaumannsErstaunen kam Rosl dieser Bitte nach kurzem Zögern nach. Der junge Arzt horchte die Brust der alten Frau ab, fühlte den Puls am Hals, am Handgelenk, hob ihre Augenlider und leuchtete in ihre Pupillen.
«Ja», sagte er dann ruhig. «Ich denke, es ist besser, wenn wir Ihre Mutter in ein Krankenhaus bringen.»
Rosl schüttelte heftig den Kopf.
«Nein», sagte sie laut. «Nein! Ich bin nicht so blöd, wie Sie meinen. Das ist meine Mutter, und sie bleibt hier. Die ist nicht krank. Die ist tot. Der Kerl hat sie umbracht. Jetzt bin ich dran. So is des.»
Laura hielt den Atem an, flehte innerlich, dass der Arzt die richtigen Worte finden möge.
«Ich wollte nicht nur Ihre Mutter ins Krankenhaus bringen, sondern Sie mit Ihrer Mutter, Frau Meier. Im Krankenhaus sind Sie beide in Sicherheit.»
Rosl starrte den Arzt an.
«Kann ich sie behalten. Im Krankenhaus? Ich hab nur sie. Sonst hab ich gar nichts. Wenn ich sie nicht behalten darf, komm ich nicht mit und sie auch nicht.»
Der Arzt warf Laura einen kurzen Blick zu und zuckte die Achseln.
«Natürlich dürfen Sie Ihre Mutter behalten, Frau Meier», sagte er leise. «Es ist schließlich Ihre Mutter, nicht wahr? Wir müssen sie nur untersuchen.»
Rosl runzelte die Stirn, griff dann nach ihrer Mutter und zog sie wieder an ihre Brust.
«Gleich», sagte sie. «Wir sin noch ned fertig. Geh’n S’ naus! Alle miteinander.»
Fragend sah der Arzt zu Laura hinüber. Sie nickte. Da erhob er sich langsam und verließ das Zimmer, ging mit den andern in die Küche.
«Geben Sie ihr zehn Minuten», sagte Laura. «Das ist nichtzu viel verlangt für den Abschied von einer Mutter, nicht wahr?»
«Nein, ganz und gar nicht!» Der
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