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Wie man die Welt verändert: Über Marx und den Marxismus (German Edition)

Wie man die Welt verändert: Über Marx und den Marxismus (German Edition)

Titel: Wie man die Welt verändert: Über Marx und den Marxismus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Hobsbawm
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offiziellen kommunistischen Sammlungen; dennoch gibt es diverse Publikationen, zusammengestellt vor allem von Marx’ und Engels’ Briefpartnern oder deren Nachlassverwaltern (beispielsweise im Falle Kautskys oder Victor Adlers), die beide Seiten des Briefwechsels präsentierten. Der Briefwechsel zwischen Engels und Lafargue (publiziert 1956–1959) war insofern wohl der erste unter kommunistischer Herausgeberschaft, der beide Seiten einbezog und damit einen neuen Abschnitt in der Erforschung dieses Aspekts des Werks von Marx und Engels eröffnete. Die Editionspraxis indes, die bis in die 1970er Jahre hinein in den verschiedenen Werkausgaben den Briefwechsel zwischen Marx und Engels von dem mit Dritten geführten trennte, machte das Studium der Briefe relativ beschwerlich.
III
    Wie wir sahen, kam die Veröffentlichung und Übersetzung des Werks von Marx und Engels in umfassender Form nach dem Zweiten Weltkrieg und insbesondere in der Zeit nach Stalins Tod erheblich voran. Zu Beginn der 1970er Jahre ließ sich sagen, der Großteil der Werke liege nun, sollte es nicht zur unvorhergesehenen Entdeckung bislang unbekannter Entwürfe oder Briefe kommen, in gedruckter Form vor, wenn auch nicht notwendigerweise breit zugänglich. Das schloss zunehmend auch unabgeschlossene Vorarbeiten und Materialien ein – Exzerpte, Randnoten etc. –, in deren Fall es üblich geworden war, sie ebenfalls als »Werke« zu behandeln und entsprechend zu veröffentlichen. Hinzuweisen ist dabei auf das verstärkte Bemühen, solches Material nicht zuletzt unter einer Perspektive zu analysieren und zu interpretieren, die darauf ausgerichtet ist, Marx’ Art zu denken selbst darin zu entdecken – insbesondere bei Gegenständen, über die er nicht einmal Skizzen einer Ausarbeitung hinterließ; ein Beispiel wäre hier die Edition von Marx’ Ethnologischen Exzerptheften (hg. von Lawrence Krader, Assen 1972; dt. Frankfurt/M. 1976). Ein solches Bemühen lässt sich als der Beginn einer neuen und vielversprechenden Phase der philologischen Marx-Forschung betrachten. Das Gleiche gilt für die Erforschung Marx’scher Entwürfe und Varianten, etwa der Entwürfe und Vorarbeiten zur Schrift Der Bürgerkrieg in Frankreich oder der Entwürfe zum berühmten Brief an Vera Sassulitsch von 1881. Tatsächlich war eine solche Entwicklung unausweichlich, nicht zuletzt weil unter den neu publizierten Werken einige, etwa die Grundrisse , selbst Entwürfe geblieben waren, die in der schließlich überlieferten Form nicht zur Publikation gedacht waren. Einen beträchtlichen Schub erfuhr die Analyse von Textvarianten auch durch die (in Japan erschienene) Wiederveröffentlichung des ersten Kapitels des Kapitals (Erster Band) in der Fassung der Erstauflage von 1867, eines Textes also, den Marx selbst für nachfolgende Auflagen erheblich umgearbeitet hatte.
    Insbesondere seit den 1960er Jahren bemühte sich die Marx-Forschung, so ließe sich sagen, zunehmend darum, die Werke von Marx und Engels nicht als definitives und »endgültiges« Korpus anzusehen, in dem die Marx’sche Theorie sich dargelegt findet, sondern in den Schriften den Prozess eines Denkens in Entwicklung zu entdecken. Zugleich war die Forschung zunehmend bereit, die Arbeiten von Marx und Engels nicht länger als im Wesentlichen ununterscheidbare Bestandteile des Marxismus zu begreifen, und begann, die Differenzen und bisweilen Divergenzen der beiden ein Leben lang verbundenen Partner zu untersuchen. Bisweilen führte dies auch zu übertriebenen Interpretationen solcher Unterschiede, doch muss uns das an dieser Stelle nicht berühren. Der schrittweise Niedergang des Marxismus als formal geschlossenes, dogmatisches System, der Mitte der 1950er Jahre einsetzte, hat diese neuen Tendenzen in der Marx-Forschung naturgemäß begünstigt; gleichzeitig führte er mitunter aber auch zur Suche nach Texten und Textstellen in den erst in jüngerer Zeit publizierten oder bekannt gewordenen und deshalb weniger geläufigen Marx’schen Schriften, um auf deren Autorität andere, bisweilen ebenso dogmatische Spielarten des »Marxismus« zu stützen.
IV
    Der Niedergang des dogmatischen Marxismus nach 1956 führte zu einer wachsenden Kluft zwischen den Ländern, in denen sich sozialistische Regierungen auf eine mehr oder weniger monolithische offizielle marxistische Lehre stützten, und dem Rest der Welt, in dem eine Vielzahl von marxistischen Parteien, Gruppierungen und Strömungen koexistierte. Ein solches

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