Wie man die Welt verändert: Über Marx und den Marxismus (German Edition)
Entscheidungen gegenüber – direkten Einfluss, Fragen also, wie sie die unmittelbaren Sachwalter des literarischen Erbes von Marx und Engels ganz offensichtlich bewegt hatten. Der Umstand, dass das Epizentrum marxistischer Veröffentlichungen nunmehr im Bereich der kommunistischen Bewegung lag, vertiefte den Bruch, da kommunistische (und insbesondere russische) Herausgeber – bisweilen zu Recht – dazu neigten, das Weglassen einzelner Texte oder die Veränderungen in früheren Ausgaben durch deutsche Sozialdemokraten als »opportunistische« Verzerrungen anzusehen. Zweitens eröffnete die Revolution den bolschewistischen Marxisten, die nunmehr über die Ressourcen des russischen Staates verfügten, die Möglichkeit, ihr Ziel zu erreichen und das Korpus der Klassikerschriften vollständig zu publizieren – als, mit einem Wort, Gesamtausgabe .
Daraus ergab sich eine Reihe technischer Probleme, von denen zwei erwähnt werden sollen. Marx’ und in geringerem Ausmaß Engels’ Schriften reichten von abgeschlossenen Werken, die mit unterschiedlicher Sorgfalt bereits publiziert vorlagen, über Entwürfe, die in unterschiedlichem Maße unabgeschlossen und vorläufig waren, bis zu bloßen Notizen und Marginalien. »Werke« von Vorarbeiten oder Entwürfen abzugrenzen war keine einfache Aufgabe. Das neu gegründete Marx-Engels-Institut, dessen Leiter Dawid Rjasanow wurde, ein überragender marxistischer Wissenschaftler, stufte verschiedene Schriften als nicht den tatsächlichen »Werken« zugehörig ein, entschied aber gleichwohl, sie parallel in einer Reihe für sonstige Schriften zu publizieren, dem Marx-Engels-Archiv . So fanden diese Schriften bis zum Beginn der Arbeiten an der neuen MEGA in den 1970er Jahren keine Aufnahme in die Gesamtausgabe. Zudem war zwar der Großteil der handschriftlichen Entwürfe aus dem Nachlass von Marx und Engels zugänglich – der archivierte Nachlass befand sich im Besitz der SPD und wurde nach 1933 ins Internationale Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam transferiert –, doch der Briefwechsel der Klassiker war weit verstreut, so dass eine umfassende Edition unmöglich wurde, und sei es auch nur, weil unbekannt war, wo sich die Korrespondenz im Einzelnen befand. Letztendlich wurde ab ungefähr 1920 eine Reihe von Briefen von Marx und Engels separat veröffentlicht, bisweilen von den Empfängern oder deren literarischen Nachlassverwaltern, doch blieben so umfängliche und bedeutende Briefwechsel wie etwa die Korrespondenz mit Paul und Laura Lafargue bis in die 1950er Jahre unveröffentlicht. Da die (erste) MEGA niemals abgeschlossen wurde, verloren diese Probleme schon bald ihre Dringlichkeit, doch sollten sie festgehalten werden. Ebenfalls erwähnt werden sollte die Fortsetzung der Veröffentlichung von Archivalien aus dem Bestand der weiter bestehenden älteren Zentren, die über Material von Marx verfügten, also insbesondere aus dem Archiv der SPD. Denn obgleich das Moskauer Institut bemüht war, für die MEGA alle möglichen Schriften der Klassiker zusammenzutragen – schließlich war dies die einzige Gesamtausgabe in Vorbereitung –, standen ihm von der bei weitem größten Archivsammlung lediglich Ablichtungen der Dokumente zur Verfügung, während die Originale im Westen verblieben.
In den 1920er Jahren erlebte die Publikation von Klassikerschriften mithin einen bemerkenswerten Schub. Zum ersten Mal wurden zwei Arten von Materialien allgemein zugänglich: zuvor nicht publizierte Manuskripte sowie der Briefwechsel von Marx und Engels mit Dritten. Doch schon bald legten politische Ereignisse, wie sie vor 1914 nicht vorstellbar gewesen waren, der weiteren Publikation und Debatte Hindernisse in den Weg. Die Machtübernahme der Nazis 1933 zerstörte den Mittelpunkt der westlichen Marx-Forschung (in Deutschland) und schwächte in großem Maße die mögliche Wirkung der dort erarbeiteten Positionen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Gustav Mayers monumentale Engels-Biographie musste 1934 in einem holländischen Exilverlag erscheinen und blieb nach dem Zweiten Weltkrieg in West-Deutschland unter jüngeren Marxisten bis weit in die 1970er Jahre hinein praktisch unbekannt. Viele der neu veröffentlichten Marx’schen Texte waren nicht nur »marxistische Seltenheiten« (um den Titel einer Schriftenreihe aus den 1920er Jahren zu zitieren), sondern wurden auch unweigerlich zu solchen. 3 Der Aufstieg Stalins in Russland zerstörte das Marx-Engels-Institut, insbesondere nach der
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