Wie man einen verdammt guten Roman schreibt
kann nicht weggehen, weil er aufgrund einer gerichtlichen Anordnung dort ist; für ihn kann es nur Erfolg oder totale Niederlage geben. Die Große Schwester will ihn kleinkriegen. Sie ist der Boss in der Station, und es soll niemandem gelingen, ihre Herrschaft in Frage zu stellen. Totale Kontrolle über die Station zu haben, ist das einzige, was für sie zählt. McMurphy und die Große Schwester sind aneinander gebunden, die psychiatrische Klinik ist ihr Schmelztiegel.
• Der alte Mann in Der alte Mann und das Meer hat den großen Fisch an der Angel. Er kann ihn nicht freilassen, weil er einen großen Fisch fangen muß, um seine Männlichkeit zu beweisen. Der Fisch kommt nicht frei, weil er den Haken im Maul hat. Sie sind in einem Kampf auf Leben und Tod aneinander gebunden; er ist ihr Schmelztiegel.
• Die Feinde der Corleones im Roman Der Pate haben sich vorgenommen, der Familie Corleone einen großen Teil ihrer Macht zu nehmen. Michael Corleone muß sie daran hindern, oder er wird selbst vernichtet. Keine der beiden Seiten kann sich aus dem Staub machen, keine kann einen schnellen Sieg erringen. Beide müssen den Krieg zu Ende führen. Die Pflicht ihrer jeweiligen Familie gegenüber ist ihr Schmelztiegel.
• In Madame Bovary ist Emma mit einem Mann verheiratet, den sie verabscheut. Zu ihrer Zeit war eine Scheidung unmöglich. Sie ist an ihn gekettet. Die Ehe der beiden ist ihr Schmelztiegel.
• In Lolita liebt Humbert Humbert Lolita. Sie ist ein Kind und muß bei ihm bleiben, weil sie sonst nirgendwo hingehen kann. Seine Liebe und ihre Abhängigkeit bilden ihren Schmelztiegel.
DER INNERE KONFLIKT UND SEINE
NOTWENDIGKEIT
Wenn der Wille einer Figur auf ein Hindernis stößt, das in der Figur selbst liegt, also wenn beispielsweise Pflicht mit Angst kollidiert, Liebe mit Schuld, Ehrgeiz mit Gewissen usw., dann haben Sie einen inneren Konflikt. Figuren leiden ebenso wie reale Menschen an inneren Konflikten. Reale Menschen schwanken oft in ihren Entscheidungen. Von Unentschlossenheit gequält, haben sie Schuldgefühle, Ängste, Bedenken, Zweifel, Skrupel und ähnliches. Das alles sind Anzeichen für einen inneren Konflikt. Innere Konflikte machen Figuren nicht nur interessant, sondern wirklich unvergeßlich für den Leser. Wenn sich ein Leser gut in eine Figur hineinversetzen kann, liegt das daran, daß die Figur einem starken inneren Konflikt unterworfen ist. Eine Figur kann sich in der erbärmlichsten Notlage der Literaturgeschichte befinden: wenn sie keinen inneren Konflikt austrägt, dann ist Mitleid die einzige Gefühlsreaktion, die der Autor vom Leser erwarten kann.
Würde Humbert Humbert wegen seiner Begierde nach einem minderjährigen Mädchen keinen inneren Konflikt empfinden, würde ihn der Leser verabscheuen.
Der alte Mann empfindet ein tiefes Mitgefühl mit dem Fisch und hat heftige Gewissensbisse, ihn zu töten. Wenn das nicht so wäre, hätten wir lediglich eine Abenteuergeschichte, die kaum lesenswert wäre.
Leamas kommt hinter dem Eisernen Vorhang zu der Erkenntnis, daß die Machenschaften seiner Regierung genauso übel sind wie die der Kommunisten. Sein innerer Konflikt ist so stark, daß er ihn löst, indem er den Tod akzeptiert.
Ohne Madame Bovarys inneren Konflikt wäre Flauberts Roman nicht lesenswerter als ein Kitschroman. Wen interessiert das schon, wenn eine Hausfrau sich austoben muß?
Michael Corleone ist kein Mafioso, doch er liebt seine Familie und fühlt sich verpflichtet, ihr in Notzeiten zu helfen. Welche Seelenqualen muß er ausstehen!
Wenn Ihre Figuren keinen inneren Konflikt austragen, wird Ihr Buch zum Melodram. Der innere Konflikt zeigt an, daß die Figuren engagiert sind, daß für sie etwas auf dem Spiel steht. Nehmen wir an, Sie haben vor, eine Geschichte über einen Mann zu schreiben, der heiraten will. Er umwirbt eine Frau, sie sträubt sich. Sie macht es ihm nicht leicht, aber schließlich sagt sie doch ja. Das ist der Kern der Geschichte. Die Beharrlichkeit (des Umwerbens) und der Widerstand dagegen machen sie spannend, aber sie ist nicht so spannend, wie sie sein könnte. Eine solche Situation hat die Tendenz zum Melodram, weil die Hauptfiguren nicht unter inneren Konflikten leiden. Also suchen Sie nach Ideen, um einen inneren Konflikt in ihre Figuren einzubauen. Was wäre beispielsweise, wenn er Zen-Buddhist ist und seine Religion ernst nimmt, sie aber keine Zen-Anhängerin ist und seine Eltern und die
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