Wie man einen verdammt guten Roman schreibt
in Prosa natürlich.)
Während Scrooge und sein Neffe jeweils auf ihrem Standpunkt beharren, um den anderen umzustimmen, wird ihr eigener Charakter enthüllt. Wir erkennen, daß Scrooge ein knauseriger Geldsack ist, sein Neffe dagegen eine Art fröhlicher Tunichtgut.
Ein Konflikt zwischen Figuren findet stets in der Form Beharren versus Widerstand statt. Die Geister wollen Scrooge erleuchten; Scrooge will nicht erleuchtet werden. McMurphy will die Station befreien; die Große Schwester tut ihr Bestes, um den Status quo zu erhalten. Humbert Humbert will Lolita haben; Lolita versucht, von ihm wegzukommen. Der alte Mann will den großen Fisch einholen; der große Fisch will lieber im Meer bleiben.
Wenn Figuren unterschiedliche Ziele haben und entschlossen sind, diese zu erreichen, entsteht Konflikt. Wenn viel auf dem Spiel steht und beide Seiten unnachgiebig sind, haben Sie die Voraussetzungen für ein hochexplosives Drama.
DIE OPPOSITIONELLEN KRÄFTE AUSGLEICHEN
Niemand wird dafür bezahlen, Muhammad Ali gegen einen verkrüppelten Zwerg kämpfen zu sehen. Niemand würde sich einen Trickfilm angucken, in dem Popeye den schwachen Pechvogel Wimpy zusammenschlägt. Es kann keinen Wettstreit, keinen Kampf, keine Geschichte ohne ebenbürtige Gegner geben. Wimpy würde für Popeye keinerlei Herausforderung darstellen; er würde weder Popeyes Erfindungsreichtum und Geschicklichkeit herausfordern, noch seine Entschlossenheit und seinen Mut. Popeye könnte Wimpy besiegen, ohne zum Spinat zu greifen. Popeye wird erst richtig auf die Probe gestellt, wenn er einem fast ebenbürtigen Gegner gegenübersteht, nämlich Bluto.
Die Schöpfer dieses Comics und die Veranstalter von Boxkämpfen, die Muhammad Ali gegen »Smokin’ Joe« Frazier antreten lassen, folgen dem sogenannten Oppositionsprinzip. In seinem Buch How to Write a Play (1983) erläutert Raymond Hüll den Begriff Opposition anhand einer Formel: »H + Z + O = K. Hauptfigur + deren Ziel + Opposition - Konflikt.«
Gute Opposition erfordert, daß der Antagonist allen Versuchen des Protagonisten, seine Probleme zu lösen, ebensoviel Kraft und Schlauheit entgegensetzt, wie sie der Protagonist an den Tag legt.
Gute Opposition erfordert nicht, daß Ihr Protagonist ein Bilderbuchheld sein muß, der rein, edel, entschlossen und aufrichtig ist, oder daß ihr Antagonist ein ausgesprochener Schurke sein muß, der hart, skrupellos und grausam ist. Der Antagonist des Helden kann eine Figur sein, die ebenfalls rein, edel und entschlossen ist. Es ist sogar viel besser, wenn sie so ist.
Gute Opposition erfordert nicht, daß irgendeine Figur ein Schurke sein muß. Der Antagonist kann genauso heroisch wie der Protagonist sein. Das heißt jedoch nicht, daß schurkenhafte Figuren nicht zulässig wären. Sie haben durchaus ihren Platz. Der springende Punkt ist, daß sie nicht notwendig erforderlich sind, um eine gute Opposition herzustellen. Einegute Opposition braucht gut motivierte, abgerundete und nicht stereotype Figuren.
Nehmen wir mal an, Sie haben sich entschlossen, die Geschichte einer jungen Frau namens Daisy Allgood zu erzählen, die gegen die sexistische Haltung der Männer in ihrer Firma kämpft. Der schlimmste Sexist ist der Firmeninhaber Hiram Figg. Wenn Sie Hiram als einen schwachköpfigen Neandertaler anlegen, der wutschnaubend wilde Tiraden vom Stapel läßt, daß eine Frau an den Herd gehört, haben Sie schließlich ein Melodram. Doch nehmen Sie stattdessen an, Hiram habe Frauen ins obere Management gebracht, bloß um sie dann an seine Konkurrenten in New York zu verlieren. Ihm ist die sexistische Haltung seiner Geschäftsleitung, die die Frauen veranlaßt hat zu gehen, nicht bewußt; er denke nur praktisch, glaubt er. Andererseits könnte Hiram heimlich in Daisy verliebt sein; wenn er sie in der Firmenhierarchie befördert, würde er enger mit ihr zusammenarbeiten, und das möchte er vermeiden. Er glaubt, daß er zu alt für sie ist. Und da er dreiundachtzig und sie fünfundzwanzig ist, könnte er schon recht haben.
Mit anderen Worten, wenn Sie Ihre Opposition aufbauen, geben Sie Ihren Figuren Ansichten, die logisch und vernünftig sind, die der Leser verstehen und sogar nachempfinden kann. Raymond Hüll drückt das folgendermaßen aus: »Die Stärke des Konflikts ist nicht einfach das Ergebnis der Stärke des Protagonisten«, sondern auch das Ergebnis »der Stärke der Opposition«. In einem kraftvollen
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