Wie man einen verdammt guten Roman schreibt
Drama sind der Protagonist und der Antagonist gleich gut motiviert und einander ebenbürtig.
DAS BINDUNGSPRINZIP ODER: WIE SIE FIGUREN
IM SCHMELZTIEGEL HALTEN
Der »Schmelztiegel« ist nach einer Formulierung in Moses Malevinskys Buch The Science of Playwriting (1925) »der Topf oder der Hochofen«, in dem das Drama »gekocht, gebacken, geschmort oder über den Winter gebracht wird«. Er ist, behauptet er, »eines der wichtigsten Elemente in der organischen Struktur eines Dramas«. Stellen Sie sich den Schmelztiegel einfach als den Behälter vor, in dem die Figuren zusammengehalten werden, während sich die Dinge aufheizen. Der Schmelztiegel ist das Band, das sie miteinander in Konflikt hält. Figuren, die aneinander gebunden sind, werden, wie Lajos Egri feststellt, »nicht mittendrin eine Pause einlegen und sagen: Unentschieden«.
Die Figuren bleiben immer dann im Schmelztiegel, wenn ihre Motivation, den Konflikt fortzusetzen, größer ist als ihre Motivation, vor dem Konflikt davonzulaufen. Sie merken, daß es Ihnen nicht gelungen ist, Ihre Figuren in den Schmelztiegel zu stecken, wenn Ihre Leser anfangen Fragen zu stellen wie: »Warum geht der Ritter nicht einfach nach Hause und vergißt, daß er den Drachen erschlagen wollte?« Oder: »Wenn Lillian Harold nicht mag, war-um fährt Sie dann nicht mit Mortimer nach Hoboken?«
Mal angenommen, Sie wollen einen Roman über einen Mann schreiben, der seinen Job haßt; die tobenden Kunden wollen alle ihren Auftrag gestern erledigt haben, der Chef ist verrückt, die Bezahlung furchtbar und das Büro voller Zigarrenqualm. Die erste Frage des Lesers ist: warum kündigt der Mann nicht?
Deshalb muß die Figur an ihren Job gebunden sein. Sie müssen aus dem Büro einen Schmelztiegel machen; andernfalls gibt es keine Geschichte. Vielleicht muß der Mann zehn Kinder ernähren und könnte niemals einen Job finden, der so gut bezahlt ist wie dieser. Da haben Sie den Schmelztiegel: Notwendigkeit.
Nehmen wir stattdessen an, Sie beschließen, über eine junge Frau zu schreiben, die dauernd von einem neugierigen Nachbarn belästigt wird. Die erste Frage, die der Leser stellen wird, ist: Warum zieht sie nicht einfach um? Also fragen Sie sich, wo ist der Schmelztiegel? Vielleicht ist es schwer, eine andere Wohnung zu finden. Vielleicht ist die Miete da, wo sie wohnt, billig, und sie kann es sich nicht leisten, umzuziehen. Vielleicht ist sie schon aus ihren beiden vorherigen Wohnungen vergrault worden und will nicht länger herumgestoßen werden. Aus welchen Gründen auch immer, sie muß gute Motive zum Bleiben haben; diese Art von Motivation bildet das Band des Schmelztiegels.
Ohne einen Schmelztiegel, der die Figuren zusammenhält, kann es keinen Konflikt geben, und ohne Konflikt gibt es kein Drama. Jedesmal, wenn Sie Ihre Figuren in einen Schmelztiegel stecken, werden Antagonist und Protagonist aus jeweils unterschiedlichen Gründen nicht darum herumkommen, den Konflikt bis zu einer endgültigen Lösung fortzusetzen - bis die Hochzeit stattfindet, bis die Schlacht gewonnen, bis das Vermögen geteilt ist, bis die Piraten auf den Grund des Meeres geschickt wurden oder was auch immer.
Wenn Sie Ihre Figuren schaffen, stellen Sie sie sich stets als aneinander gebunden vor. Hier sind einige Beispiele für Figuren in einem Schmelztiegel:
• Vater und Sohn, die sich in einem Konflikt befinden, werden darin verharren, weil sie durch Liebe und durch Kindespflicht aneinander gebunden sind und sich nicht einfach davonmachen können. Die Liebe ist ihr Schmelztiegel.
• Eheleute werden in einem Konflikt verharren, bis sie durch Tod oder Scheidung getrennt werden. Sie sind durch Ehe, Liebe und Pflicht aneinander gebunden. Die Ehe ist ihr Schmelztiegel.
• Zwei Zellengenossen in einem Gefängnis, die in einen Konflikt geraten, werden diesen Konflikt fortsetzen, da keiner von ihnen von sich aus gehen kann. Die Zelle bindet sie aneinander, sie ist ihr Schmelztiegel.
• Das gleiche gilt für Menschen in einem Rettungsboot; da sie nicht herauskönnen, befinden sie sich in einem Schmelztiegel.
• Ein Soldat in der Armee kann seinen Sergeanten nicht loswerden, egal, wie sehr er ihn auch hassen mag. Die Armee ist für ihn der Schmelztiegel.
Hier sind noch einige konkretere Beispiele:
• McMurphy in Einer flog über das Kuckucksnest ist in einer psychiatrischen Klinik eingesperrt und wild entschlossen, der »Oberspinner« zu sein. Er
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