Wie man einen verdammt guten Roman schreibt
brauche ihn nur zu verschlucken, um für den Rest meines Lebens von einer Legion von Kobolden verfolgt zu werden, die sämtlich meine eigenen Geschöpfe sind. Humbug! sag ich dir, nichts als Humbug!« [Eine volle Breitseite, eine Steigerung des Konflikts.]
Bei diesen Worten stieß das Gespenst einen gräßlichen Schrei aus und rasselte mit seinen Ketten so greulich betäubend [ein massiver Gegenangriff], daß sich Scrooge an seinem Stuhl festhalten mußte, um nicht in Ohnmacht zu sinken. [Rückzug.] Aber um wieviel größer ward noch sein Schrecken, als das Gespenst die Binde, die es um den Kopf trug, abnahm, als sei sie ihm im Zimmer zu warm, und sein Unterkiefer auf die Brust herabsank. [Massiver Angriff, eine frontale Attacke.]
Scrooge fiel auf die Knie nieder und schlug die Hände vors Gesicht. [Vollständiger Rückzug.] »Gnade!« rief er.
»Schreckliche Erscheinung, warum quälst du mich?« [Neue Taktik, Angriff.]
»Mensch mit dem weltlichen Sinn!« antwortete der Geist, »glaubst du an mich oder nicht?« [Gegenangriff.]
»Ich glaube«, rief Scrooge. [Kapitulation.]
Ein unerfahrener Autor hätte Scrooge wahrscheinlich beim ersten Anblick des Geistes auf die Knie fallen lassen. Dickens nutzte das volle Potential dieses Konflikts durch allmähliche Steigerung aus.
Wie gehen Sie nun beim Abfassen Ihres Romans vor, um auf jeden Fall eine Konfliktsteigerung einzubauen? Zunächst einmal denken Sie bei der Planung Ihres Romans immer an Möglichkeiten, Konflikte zu steigern. Ihre Figuren sollten sich mit ständig größer werdenden Hindernissen konfrontiert sehen, ihre Probleme sollten sich vervielfältigen, der auf sie ausgeübte Druck immer stärker werden.
Nehmen wir einmal an, das Problem Ihres Protagonisten besteht darin, daß er gefeuert worden ist. Zunächst ist das ein kleineres Problem, doch als seine Rechnungen fällig werden und er anfängt, sein Auto zu verstecken, weil er seine Raten nicht mehr zahlen kann, wird der Druck, einen neuen Job zu finden, für ihn immer größer. Dann will ihn seine Frau verlassen, die Bank droht, seine Hypothek zu kündigen, und sein bester Freund, sein Hund, ist hat gegen das billige Hundefutter, das er fressen muß, eine Allergie entwickelt…
Und so geht es weiter. Der Konflikt, in dem sich unser Held befindet, steigert sich, es bahnt sich eine Krise an.
Ein Konflikt kann sich nur entwickeln, wenn sich die Figur entwickelt. Mit zunehmendem Konflikt verändert sich die Figur. Als Scrooge in der Szene oben den Geist zum ersten Mal sieht, ist er ganz gelassen; er blickt dem Geist in die Augen und sagt: »Du existierst nur in meiner Phantasie!« Dann stößt der Geist einen »gräßlichen Schrei« aus und nimmt seine Binde ab, so daß »sein Unterkiefer auf die Brust herabsank«. Scrooge verliert seine Gelassenheit; er fällt auf die Knie und ruft: »Gnade!« Das ist eine Steigerung der Handlung. Würde Scrooge auf die Knie fallen und einen solchen Schrei ausstoßen, wenn er nicht seine Gelassenheit verloren hätte? Wenn er sich nicht verändert hätte? Nein.
Das gleiche gilt für Ihre Romanfigur, die ihren Job verloren hat. Wäre der Mann gelassen, als er ihn verliert, gelassen, als sein Auto gepfändet wird, gelassen, als sein Hund krank wird, gelassen, als seine Frau ihn verläßt, gelassen, als er sein Haus verliert, dann gäbe es keine Steigerung des Konflikts. Dann wäre da nur ein cooler Typ, der den Widrigkeiten des grausamen Schicksals trotzt, und der Leser würde dessen bald überdrüssig. Es sei denn, Sie machten eine Komödie daraus.
Um sicherzugehen, daß es in Ihrem Buch eine Steigerung des Konflikts gibt, schauen Sie sich den emotionalen Zustand Ihrer Figur am Anfang und am Ende der Szene an. Es sollte eine schrittweise Veränderung der Figur stattfinden von - sagen wir mal gelassen bis ängstlich, gehässig bis versöhnlich, grausam bis mitfühlend usw., und zwar in jeder Szene. Wenn nur ein Konflikt und keine Veränderung stattfindet, dann haben Sie einen statischen Konflikt. Wenn sich die Figuren innerhalb der Szene zwar verändern, aber nicht kontinuierlich entwickeln, haben Sie möglicherweise einen sprunghaften Konflikt. Wenn sich jedoch die Figuren infolge eines Konflikts jedesmal ein bißchen emotional verändern, wissen Sie, daß der Konflikt sich entwickelt, ganz so, wie er sollte.
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