Wie man einen verdammt guten Roman schreibt
Professional Fiction Writing behauptet Jean Z. Owen, daß »einige Verleger ohne Umschweife erklären, daß sie nur in chronologischer Reihenfolge erzählte Geschichten kaufen, ohne Rückblenden in die Vergangenheit«, während andere, wie sie sagt, »die Rückblende nicht wirklich als Tabu ansehen … doch sind sich die meisten darin einig, daß dieses literarische Mittel nur verwendet werden sollte, wenn es absolut notwendig ist.«
Also gut, fragen Sie, wie weiß man, wann eine Rückblende absolut notwendig ist?
Sie ist notwendig, wenn Ihre Figur mit einer Situation konfrontiert werden soll, in der sie sich in einer Weise verhalten wird, die im Gegensatz zu ihrem bisherigen Verhalten in der Geschichte steht. Nehmen wir mal an, eine Figur war immer ein großer Drauf ganger bei Frauen, doch dieser Mann verhält sich nur so, weil er in Wirklichkeit schüchtern ist und die Tatsache verbergen möchte, daß er impotent ist. Nun verliebt er sich in eine Frau. Das bedeutet für ihn ein Problem, doch die einzige Möglichkeit, dies glaubwürdig erscheinen zu lassen, besteht darin, dem Leser die schlechte Erfahrung, die die Schwierigkeiten der Figur ausgelöst hat, vorzuführen. Mit anderen Worten, die vorausgegangene Handlung muß für die gegenwärtige Geschichte relevant sein. Wenn der Erzähler dem Leser nur die reinen Tatsachen vermitteln würde, wäre der Leser möglicherweise skeptisch und würde den Autor verdächtigen, die Zurückhaltung des Helden als melodramatischen Effekt einzusetzen. In diesem Fall ist eine Rückblende die einzig überzeugende Art, diesen Aspekt der Figur zu erhellen.
Eine Rückblende kann ebenfalls notwendig sein, wenn eine Figur in der Gegenwart der Geschichte unsympathisch, abstoßend oder widerwärtig ist, und der Autor sie weniger negativ, sie vielleicht sogar bewundernswert erscheinen lassen möchte.
Dickens beispielsweise setzt in Ein Weihnachtslied in Prosa das Mittel der Rückblende sehr gut ein, als der Geist der vergangenen Weihnacht Scrooge zwingt, über sein Leben nachzudenken. Indem er den Konflikt mit dem Geist als gestalterisches Mittel im Jetzt der Geschichte verwendet,gelingt es Dickens, den Leser durch einen sich entwickelnden Konflikt zu fesseln und gleichzeitig die Szenen, die Scrooges Charakter geformt haben, in der Rückblende zu untersuchen.
Ohne diese Rückblenden würde der Leser nie verstehen, wie Scrooge ein solcher Geizhals werden konnte, und die wachsende Sympathie des Lesers für Scrooge wäre weniger groß, als sie jetzt am Ende der Geschichte ist. Hätte Dickens dies auch ohne Rückblenden zustandebringen können? Vielleicht hätte er Scrooge im Jetzt des Romans den Geist um Gnade bitten lassen können. Scrooge hätte für sich in Anspruch nehmen können, daß er ein vernachlässigtes Kind war, dessen Mutter bei seiner Geburt starb und dessen hartherziger Vater ihm niemals vergeben hat. Doch solch ein Flehen könnte hohl klingen angesichts der Gefühllosigkeit, mit der Scrooge den Rest der Menschheit behandelt. Dickens muß Scrooge als kleinen Jungen zeigen, um dem Leser zu ermöglichen, sich in Scrooges Einsamkeit hineinzuversetzen, und die einzige Methode, dies wirkungsvoll zu tun, besteht in einer szenischen Darstellung, in einer Rückblende.
Bevor Sie eine Rückblende anbringen, stellen Sie sich die Frage, ob Sie die gleiche Wirkung beim Leser nicht auch durch einen Konflikt im Jetzt des Romans erzielen könnten. Lautet die Ant-wort nein, dann ist die Rückblende notwendig, doch denken Sie daran, daß auch innerhalb der Rückblende dieselben Prinzipien für spannendes Erzählen weiterhin gelten, die im Jetzt Ihrer Geschichte angewandt werden müssen - nämlich vollkommen abgerundete Figuren, ein sich entwickelnder Konflikt, innere Konflikte usw.
DIE VORAUSDEUTUNG
Vorausdeutungen sind ein so wichtiges Mittel, daß Lajos Egri sie in The Art of Dramatic Writing zu den Konflikttypen zählt, zusammen mit »statisch«, »sprunghaft« und »sich entwickelnd«. Eine Vorausdeutung ist eigentlich kein Konflikt, eher die Aussicht auf einen Konflikt, eine Art Versprechen.
Hier ist ein Beispiel für eine Vorausdeutung:
Joe stand auf, frühstückte, lud seine Pistole und machte sich auf den Weg in die Stadt.
Dies ist eine Vorausdeutung, weil sich der Leser überlegt: »Wozu die geladene Pistole?« Hier stellt sich eine Frage zum Verlauf der Geschichte. Vorausdeuten ist die Kunst, solche Fragen
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