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Wie man einen verdammt guten Roman schreibt

Wie man einen verdammt guten Roman schreibt

Titel: Wie man einen verdammt guten Roman schreibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James N. Frey
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verborgen haben, aus denen man vielleicht was machen könnte …«

        Wie Sie sehen, erhält die Geschichte durch die Verwunderung des Erzählers mehr Glaubwürdigkeit. Die Art, wie er erzählt, sagt uns praktisch: »Wissen Sie, ich würde das auch nicht glauben, aber es ist wahr.« Einer der Gründe, weshalb wir glauben, daß Sherlock Holmes so außergewöhnliche Fähigkeiten besitzt, liegt darin, daß uns Dr. Watson das erzählt.

    Wenn Sie eine Zeitlang darüber nachgedacht haben, welche Perspektive für Ihre Geschichte die beste wäre, und es immer noch nicht wissen, versuchen Sie die Geschichte aus zwei oder drei unterschiedlichen Perspektiven zu erzählen, und dann legen Sie diese Versionen für ein oder zwei Tage, von mir aus auch eine Woche, beiseite. Wenn Sie sie sich wieder vornehmen und in Ruhe noch einmal lesen, wird Ihnen die richtige Perspektive sicher ins Auge springen.

    DER ZAUBER DER IDENTIFIKATION, DER
    ALLERGRÖSSTE TRICK

    Wir alle sind Voyeure. Literatur gibt uns wie kein anderes Medium Einblick in andere Menschen. Wenn wir fiktionale Texte lesen, nehmen wir auf einer viel tieferen Ebene am Leben anderer teil, als wenn wir beispielsweise einen Zeitungsartikel lesen. In einem Erzähltext stehen wir auf vertrautem Fuß mit den Figuren. Erzähltes kann dem Leser realer erscheinen als die Realität selbst, weil Erzählen das Wesen des Lebens ist. In einer fiktionalen Geschichte wird der Leser in das innere Erleben einer Figur hineinversetzt. Wenn der Autor geschickt genug ist, wird sich der Leser so stark mit den Figuren identifizieren, daß die reale Welt für ihn verblaßt, während er das Buch liest, und er vollkommen in der fiktionalen Welt der Figuren aufgeht.

        Der Romanautor ist eine Art Zauberer, der den Leser in seinen Bann zieht. Um das zu schaffen, macht sich der Autor einen Zauber zunutze, den man als Identifikation bezeichnet.

    Wie können Sie nun als Autor diesen Zauber einsetzen?

        Zunächst einmal appellieren Sie gleich zu Anfang der Geschichte an die Gefühle ihres Lesers - konfrontieren Sie eine Figur mit einer Situation, die starke Gefühle hervorruft. Das Schreiben von Romanen hat mit menschlichen Figuren zu tun, und menschliche Figuren haben Gefühle. Sie können Ihren Leser am besten emotional ansprechen, wenn Sie ihn mit einer Figur bekanntmachen, in deren Probleme er sich von Anfang an einfühlen kann:

    • Humbert Humbert leidet am Anfang von Lolita Liebesqualen. Er liebt Lolita bis an die Grenze des Schmerzes. Der Leser hat Mitleid mit ihm.

    • Leamas macht sich Sorgen um einen seiner Agenten, der aus Ostdeutschland kommen soll. Der Leser wird sofort in seine Welt hineingezogen und sorgt sich mit ihm.
    • Der Pate fängt damit an, daß eine Nebenfigur einen Prozeß gegen zwei Männer beobachtet, die seine Tochter überfallen haben. Der Leser hat es leicht, ihn zu bedauern.

    • Am Anfang von Der alte Mann und das Meer st eht ein alter Fischer, der seit langem keinen Fisch mehr gefangen hat und sehr unglücklich ist. Der Leser bedauert auch ihn.

    • Flaubert beginnt seine Madame Bovary mit einem Porträt des »armen Charles«, Monsieur Bovary, der zum Hahnrei werden wird. Die Geschichte fängt damit an, daß er in der Schule von seinen Mitschülern verspottet wird. Auch für ihn empfindet der Leser Mitleid.

    • In Ein Weihnachtslied in Prosa ist das Gefühl, das Dickens hervorruft, nicht Mitleid, sondern

    Verachtung - Scrooge gegenüber. Das funktioniert gut; der Leser verabscheut ihn.

        Wenn am Anfang der Geschichte erst einmal ein Gefühl (Mitleid, Verachtung oder Angst) hervorgerufen wurde, dann sollten die Figuren sofort mit einer neuen Krise konfrontiert werden. Ist es Ihnen gelungen, die Gefühle Ihrer Leser zu wecken, werden diese zwar interessiert sein, doch eine echte Identifikation kann nur stattfinden, wenn die Figuren vor Problemen stehen, bei denen der Leser am Prozeß der Entscheidungsfindung teilnehmen kann. Wenn der Leser sagt: »Nun los, Harry, streng dich an!« oder »Hei-rate bloß nicht diesen Trottel!« dann identifiziert sich der Leser mit der Figur. Identifikation kommt zustande, wenn der Leser sich Sorgen macht, daß die Figur die richtigen Entscheidungen trifft.

    Es wird allgemein angenommen, daß eine Identifikation nur stattfinden kann, wenn die Figur bewundernswert ist. Humbert Humbert löst kaum Bewunderung aus. Er liebt ein minderjähriges Mädchen und heiratet dessen Mutter, damit er in seiner Nähe

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