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Wie man einen verdammt guten Roman schreibt

Wie man einen verdammt guten Roman schreibt

Titel: Wie man einen verdammt guten Roman schreibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James N. Frey
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besserer Satz ein, und er ist immerhin farbig und indirekt, und der Konflikt bleibt erhalten. Also lassen Sie ihn stehen.

        Nachdem Sie jeden Satz einer derartigen Prozedur unterzogen haben, könnte Ihr Dialog etwa so aussehen:

    »Du siehst völlig zerknittert aus, Liebling.«

    »Ich weiß nicht wieso. Es ist alles in Butter.«

        »Warum habe ich dann heute abend keinen Kuß bekommen?« »Damit du dich nicht bei mir ansteckst.« »Du hast keine Erkältung, sondern schlechte

    Laune, und die ist nicht ansteckend.«

        »Sieh mal, Lucy, Regel Nummer eins in der Ehe ist, deinem Mann nicht auf den Wecker zu gehen, bevor er nicht wenigstens dreißig Sekunden zu Hause ist.«

        »Und Regel Nummer zwei ist, keine Geheimnisse vor deiner Frau zu haben.« »Und Regel Nummer drei: Du bist meine Frau und nicht mein Chef, also laß mich in Ruhe!«

    Wenn dieser Dialog Teil eines Romans wäre, müßte er ohne Zweifel nochmal überarbeitet werden, vielleicht mehrfach. »Zerknittert« klingt nicht richtig, und »alles in Butter« paßt nicht zu diesen Figuren. Aber er wird beim Überarbeiten besser werden. Dialog muß fast immer überarbeitet werden, und dadurch, daß Sie sich selbst dazu zwingen, ihn mit mehr Konfliktstoff anzureichern und ihn frischer, indirekt, originell und farbig zu machen, wird er immer besser werden.

    DIE GEBOTE DYNAMISCHER PROSA

    Es gibt deren drei. Sie lauten:

    1. Sei spezifisch.

    2. Sprich alle Sinne an.

    3. Sei ein Dichter.

        Was nun folgt, ist eine unspezifische Beschreibung, wie wir alle sie als ersten Entwurf zu Papier bringen:

        Als Mrs. Applegate am Bahnhof eintraf, war der Zug schon weg. Sie ging den Bahnsteig auf und ab und überlegte, was sie machen sollte. Es gab andere Bahnhöfe auf der Strecke; vielleicht konnte sie es zu einem von ihnen noch rechtzeitig schaffen, um ihren Zug einzuholen. Sie fragte einen Taxifahrer. Der schüttelte den Kopf: »Keine Chance«, sagte er. »Das ist nicht zu schaffen.«

        Sie ging weiter auf und ab. Es mußte eine Möglichkeit geben. Sie ging wieder in den Bahnhof und fragte den Schaffner, wann der nächste Zug führe. In zwei Stunden, sagte er. So lange könne sie nicht warten, sagte sie.

        Sie ging weiter auf und ab. Dann hatte sie plötzlich eine Idee. Konnte sie nicht ein Flugzeug chartern? Ja! Sie konnte es schaffen, wenn sie ein Flugzeug charterte.

        Die Szene enthält keine einzige spezifische Angabe. Hier nun dieselbe Szene mit spezifischen Details. Passen Sie auf, wie lebendig sie wird:

    Als Beatrice Applegate am Reno Amtrak Terminal eintraf, mußte sie feststellen, daß der 5.15-Zug nach San Francisco gerade am westlichen Horizont verschwand. Sie ging auf den grauen Bohlen des alten Bahnsteigs auf und ab und überlegte, was sie machen sollte. Ihr fiel ein, daß Verdi nur zehn Minuten entfernt war und der 5.15-Zug dort immer hielt, um die Post mitzunehmen. Sie fand einen bleistiftdünnen Taxifahrer, der an seinen verbeulten alten Plymouth gelehnt ein Rennprogramm las. »Hundert Dollar, wenn Sie mich in 15 Minuten nach Verdi bringen«, sagte sie und wedelte mit einem Geldschein vor seinem Gesicht herum.

        Der alte Taxifahrer dachte nach, spuckte braunen Tabaksaft aus, sagte: »Unmöglich«, und wid-mete sich wieder seinem Rennprogramm. Beatrice brummte zornig und kehrte zum Bahnsteig zurück, wo sie erneut auf und ab ging. Es mußte einen Weg geben. Sie erkundigte sich bei dem Bahnhofsvorsteher mit dem runden Gesicht. »Der nächste Zug nach Westen geht um 7.10 Uhr«, sagte er mit einem Nicken. Sie ging wieder auf und ab.

        Vielleicht brachte sie der über ihr kreisende Blauhäher auf die Idee. Konnte man nicht auf dem Sparks Airport ein Flugzeug chartern? In zwanzig Minuten konnte sie dort sein, nach Marysville fliegen und den Zug erwischen, bevor er nach Sacramento weiterfuhr.

        Das ist vielleicht kein Text, mit dem man den Pulitzer-Preis gewinnen kann, aber er ist zweifellos besser als die fade Version von vorhin. Was vorher allgemein blieb, ist jetzt spezifisch gemacht worden. Aber der Text ist nur insofern sinnlich, als er das Auge anspricht. Gute Prosa wendet sich nicht nur an ihren Gesichtssinn, sondern auch an alle anderen Sinne: Geschmack, Geruch, Gehör und den Tastsinn. Sinnliche Prosa sollte sich ebenfalls auf die übrigen Empfindungen beziehen: Druck, Hitze, Kälte usw. und auf psychische Wahrnehmungen wie Vorahnungen, deja vu und ähnliches.

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