Wie man einen verdamt guten Roman schreibt (Teil 2)
Leidenschaft, ihre psychokinetischen Kräfte zu benutzen, um Rache zu üben.
• Scarlett O’Haras beherrschende Leidenschaft ist Ash-ley zu heiraten. Doch als ihre Plantage
Tara zerstört wird, denkt sie nur noch daran, sie wiederaufzubauen.
• Elizabeth Bennets beherrschende Leidenschaft ist die Loyalität zu ihrer Familie, die so weit geht, daß sie einen Heiratsantrag von dem äußerst begehrten Mr. Darcy ablehnt, weil er ihre Familie herablassend betrachtet. Doch nachdem sie erfährt, daß Darcy ihre Schwester vor dem Ruin bewahrt hat, ändert sie ihre Meinung und von nun an ist ihre beherrschende Lei- denschaft, ihn zu heiraten.
Sie sollten allerdings vermeiden, die beherrschende Leidenschaft zu oft zu ändern. Wenn Sie das nämlich tun, dann bekommen Sie statt einem verdammt guten Roman, der durchgängig plausibel motiviert ist und sich auf spannende Weise zum Höhepunkt steigert, ein groteskes Gebilde, wo lediglich eine unsinnige Sache an die andere gereiht wird.
Wenn am Ende der Geschichte die Hauptkonflikte gelöst sind, kann es sein, daß die Figur zu ihrer ursprünglichen beherrschenden Leidenschaft zurückkehrt, doch häufig ist das nicht der Fall wegen der Veränderungen, der dramatischen Entwicklung, die die Figur durchgemacht hat. So mag Spit am Ende der Geschichte erkennen, daß es sein größter Wunsch ist, Detektiv zu werden, und daß er, nachdem er ein »wirkliches« Spiel in der Welt der Erwachsenen gespielt hat, kein Interesse mehr an Kinderspielen wie Baseball hat. Außerdem hat er mittlerweile erkannt, daß er ohnehin einen Ball nie so fest hätte werfen können wie Goose.
Wenn die Figur tatsächlich zu ihrer ursprünglichen beherrschenden Leidenschaft zurückkehrt, geschieht dies oft mit einer anderen Einstellung oder einem anderen Verständnis, was den dramatischen Ereignissen in der Geschichte eine größere Bedeutung gibt.
GESPALTENE FIGUREN
Einige der denkwürdigsten Figuren in der Literatur haben eine gespaltene Persönlichkeit. Man könnte sogar sagen, es leben zwei verschiedene und voneinander getrennte Figuren in einem Körper.
Das bekannteste Beispiel dafür ist wohl Jekyll und Hyde.
Gespaltene Figuren werden vom Autor von Anfang an als solche konzipiert.
Mary Woolstonecraft Shelleys Monster Frankenstein ist eine solche Figur, ein brutaler Killer und gleichzeitig ein philosophieliebender sanfter Riese. Long John Silver ist auf der einen Seite ein kaltblütiger Pirat, auf der anderen ein warmherziger und liebevoller Vater. Darcys Tante, Lady Catherine, ist nach außen hin eine halsstarrige, standesbewußte Matrone, im Inneren jedoch eine hoffnungslose
Romantikerin. Carrie ist natürlich auch eine gespaltene Figur, auf der einen Seite ein linkischer Teenager, der sich sehnlichst wünscht, von den anderen akzeptiert zu werden, auf der anderen eine junge Frau mit furchtbaren, gottähnlichen, psychokinetischen Kräften.
Wie schafft man solche Figuren? Stellen Sie sich die Figuren als Ich-Zustände vor. Gemäß der Transaktionsanalyse, die der Psychologe Eric Berne in Spiele der Erwachsenen populär gemacht hat, besteht das Ich aus drei verschiedenen Ich-Zuständen, Eltern-Ich, Erwachsenen- Ich, Kindheits-Ich.
Im Eltern-Ich-Zustand sagen wir Dinge wie: »Leg den Sicherheitsgurt um.« Im Erwachsenen- Ich-Zustand sind wir rationale Wesen - nachdenklich und klug - und sagen Dinge wie: »Ich hab eine Liste von Gründen zusammengestellt, weshalb wir die neue Terrasse bauen sollten, und meine, wir sollten es tun. Es würde nämlich bei einer Investition von zwölftausentachthundert Dollar den Wert des Hauses um fünfzehntausend Dollar steigern.« Im Kindheits-Ich-Zustand würden wir beispielsweise versuchen, jemanden mit dem Auto wieder zu überholen, der uns gerade geschnitten hat. »Ich werd’s dir zeigen, mich zu schneiden!«
Um eine gespaltene Figur zu schaffen, sollten Sie Ich-Zustände entwickeln, die über die bloße
Widerspiegelung einer Einstellung hinausgehen. Stellen Sie sich die Ich-Zustände als völlig separate Figuren vor. In dem einen Ich-Zustand würde die Figur Dinge sagen und tun, die ihr in dem anderen Ich-Zustand nicht im Traum einfielen.
Hier ist ein Beispiel:
Stellen Sie sich vor, Ihre Figur ist ein Armeemajor im Zweiten Weltkrieg. Er ist ein ausgezeichneter Panzerkommandant, kampferprobt und abgehärtet, ein schlauer Taktiker, furchtlos, draufgängerisch, entschlossen, erbarmungslos und seinen Männern gegenüber hart - ein Zuchtmeister wie er im
Weitere Kostenlose Bücher