Wie man einen verdamt guten Roman schreibt (Teil 2)
anderen gern Streiche. Sie kann es einfach nicht lassen. Obwohl sie ein Snob ist und sich zur Schickeria zählt, bereitet ihr nichts mehr Spaß, als jemanden von ihresgleichen zur Zielscheibe eines dummen Streiches zu machen. Ihr ist bewußt, daß die beiden Teile ihrer Persönlichkeit nicht zusammenpassen, aber sie ist halt so. Manchmal reitet sie einfach der Teufel, und dann kann sie sich nicht zurückhalten.
Die meiste Zeit ist sie ein Snob, doch manchmal erscheint ein Funkeln in ihren Augen und der andere Teil ihrer Persönlichkeit gewinnt die Oberhand.
Hilda könnte in der Tat eine sehr interessante Figur sein. Was würde zum Beispiel passieren, wenn sie einen Präsidentschaftskandidaten heiratete? Oder den König von England? Die Möglichkeiten wären ungeheuerlich.
Wie war’s mit einer ernsthafteren Figur? Wir wollen sie Ivy Danforth nennen. In jungen Jahren war sie ein mütterlicher Typ, eine sanfte Seele, sehr häuslich und kinderlieb. Sie sorgte treu für ihren Mann Dillon, den absoluten King unter den Großhändlern für Installati - onsbedarf. Ivy wußte, daß sie altmodisch war, doch man hatte sie so erzogen, daß sie glaubte, eine Frau gehöre ins Haus. Bla, bla, bla.
Dann erlag Dillon plötzlich einem Herzinfarkt, und Ivy hatte den Großhandel für Installationsbedarf am Hals, der damit am Rande des Ruins stand. Sie übernahm die Leitung der Firma und rettete das Geschäft, doch dabei mußte sie eine harte Geschäftsfrau werden, und das tat sie auch.
Am Anfang unseres Romans erleben wir Ivy, wie sie Leute einstellt und wieder rausschmeißt, wie sie skrupellos ihren Vorteil sucht und damit das Geschäft zum weltweit größten Lieferanten für Installationsbedarf ausbaut. Aber zu Hause ist sie immer noch die fürsorgliche Mutter, die frisches Brot backt und Pullover strickt. Eine Frau mit einer gespaltenen Persönlichkeit.
Die Probleme beginnen, als sie im Alter von siebenundvierzig ihre Tochter im Krankenhaus besucht, um ihre neue Enkelin zu bewundern, und dort Dr. Wayne Marlow kennenlernt. Dieser ist rasch angetan von ihrem sanften Wesen, und die Liebe erblüht. Aber wie wird er mit ihrer zweiten Persönlichkeit umgehen können, von der er noch nichts ahnt?
Die möglichen Komplikationen sind sicher spannend.
Hier ist ein weiteres Beispiel:
Stellen wir uns einen sanftmütigen Mann vor, der als Reporter für eine große Zeitung arbeitet. Er ist schüchtern, ängstlich und anscheinend feige und trägt eine Brille. Aber er hat eine zweite Persönlichkeit. Da ist er ein Mann aus Stahl, der nichts zu verbergen hat, schneller als eine Kugel ist, mit einem Satz über hohe Gebäude springen kann…
Erinnern Sie sich an »Kung Fu« im Fernsehen? Erinnern Sie sich an Caine? Der Held war eine gespaltene Persönlichkeit, ein sanftmütiger Typ, der katzbuckelnd seine Flöte spielte, bis ihn jemand provozierte. Dann wurde er zum Tiger. Was ist mit Die drei Gesichter der Eve, wo drei Persönlichkeiten in einem Körper leben. Und mit dem Paten, Vito Corleone, der ein guter, liebevoller Vater und gleichzeitig ein erbarmungsloser, brutaler Gangster ist.
Sie verstehen, was ich meine.
Um ihre Figuren interessant zu machen, statten Sie sie mit einer spannenden Biographie aus, geben Sie ihnen ungewöhnliche Ideen und Einsichten, lassen Sie einige von ihnen ruhig ein
bißchen verrückt sein, setzen Sie sie in deutlichen Kontrast zueinander und zu ihrer Umgebung und geben Sie ihnen vielleicht eine gespaltene Persönlichkeit. Riskieren Sie ab und zu etwas bei der Gestaltung Ihrer Figuren und lassen Sie sie unverbraucht erscheinen.
Da sich Ihre Figuren im Verlauf Ihres verdammt guten Romans aber verändern sollen, brauchen Sie einige ausgeklügeltere Techniken zum Aufbau von Prämissen, und das ist, wie Sie sicher unschwer erraten haben, das Thema von Kapitel vier.
4
PRÄMISSEN FÜR FORTGESCHRITTENE
TEIL EINS: ERKLÄRUNG UND SIMPLIFIZIERUNG DES BEGRIFFS
EINE ROSE BLEIBT EINE ROSE, AUCH WENN MAN SIE BANANE NENNT
Die großen ägyptischen Pyramiden hätten ohne die Erfindung des Meißels nicht gebaut werden können.
Ein Meißel ist eine einfache Sache, nichts weiter als ein längliches Stück Kupfer oder Bronze, das an einem Ende abgeflacht ist und eine Schneide hat. Und dennoch hat die Erfindung dieses schlichten Werkzeugs zum Bau jener gewaltigen Monumente geführt. Ohne den Meißel wären diese riesigen Bauwerke nur Haufen von Steinen.
Die Prämisse ist der Meißel des Romanschriftstellers. Dieses einfache
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