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Wie man einen verdamt guten Roman schreibt (Teil 2)

Wie man einen verdamt guten Roman schreibt (Teil 2)

Titel: Wie man einen verdamt guten Roman schreibt (Teil 2) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James N. Frey
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erzählt wird. Dann benutzt er eine parteiische dritte Person. Fjodor Dostojewski] benutzt in Verbrechen und Strafe eine allwissende dritte Person und eine Mischung aus »Erzählen« und »Zeigen«, was der moralischen Lektion angemessen ist, die er erteilen will. In all den Werken, die in diesem Buch als Beispiel herangezogen wurden, werden Ton, Stil, Sichtweise und Er - zählhaltung von Anfang bis Ende beibehalten.
    DER UNZUVERLÄSSIGE ERZÄHLER
    Alle Romane, die in diesem Buch als Beispiel benutzt wurden, sind mit der Erzählerstimme eines »zuverlässigen« Autors geschrieben. Der Vertrag mit dem Leser besagt, daß alle Ereignisse so dargestellt werden, wie sie sich zugetragen haben, und daß der Autor alle Tatsachen offenlegt.
    Nun muß der Erzähler einer Geschichte jedoch, wie es der Natur des Geschichtenerzählens entspricht, dem Leser zunächst einige Dinge vorenthalten. So entspricht es beispielsweise dem Standardvertrag, daß der Erzähler, der das Ende der Geschichte kennt, dieses nicht vor - zeitig enthüllt, sondern die Geschichte chronologisch erzählt, so daß sie sich vor den Augen des Lesers zu entfalten scheint. Über die Ereignisse, die bereits geschehen sind, berichtet der Erzähler alles, was der Leser wissen muß, doch er hält zurück, was noch passieren wird.
    Nach dem Standardvertrag gilt es als schwerer Verstoß, nicht fair zum Leser zu sein. Manchmal mag ein Autor damit durchkommen, besonders wenn es sich nur um einen einzigen Verstoß handelt. So könnte eine Science-Fiction-Geschichte damit beginnen, daß der Ich-Erzähler über eine schöne Frau redet, die er verführen möchte, und der Leser erfährt erst später, daß der Erzähler eine Eidechse ist.
    Wenn ein solches Mittel am Anfang des Buches als eine Art Köder benutzt wird, ist das schon in Ordnung, aber wenn Sie das mehr als einmal durchzuziehen versuchen, könnte es leicht

passieren, daß der Leser das Gefühl bekommt, daß der Vertrag verletzt wurde, und das Buch zuklappt.
    Sie können allerdings auch einen Vertrag mit dem Leser abschließen, der ausdrücklich erklärt, daß der Erzähler völlig unzuverlässig ist und daß es Aufgabe des Lesers ist herauszufinden, was wirklich passiert. Ein Beispiel dafür ist Faulkners berühmter schwachsinniger Erzähler Benjy, wie er in Schall und Wahn eine Partie Golf beobachtet. Das Vergnügen beim Lesen besteht in diesem Fall darin, daß wir ein Gefühl dafür bekommen, was im Kopf eines Schwachsinnigen vor sich geht. Wir genießen das, obwohl wir wissen, daß das, was berichtet wird, unzuverlässig ist.
    Ein Erzähler muß nicht unbedingt geisteskrank oder wahnsinnig sein, um unzuverlässig zu sein. Er kann auch einfach nur starke Vorurteile haben:
    Es hat mich wirklich nicht gestört, als die Friesen nebenan einzogen. Ganz ehrlich, einige meiner besten Freunde sind Friesen. Als sie eingezogen sind, bin ich sogar rübergegangen und habe hallo gesagt und sie gebeten, nicht vor meinem Haus zu parken, weil manchmal Freunde von mir vorbeikommen und die möchten dann da parken. Ich bin zwar nicht massiv geworden, aber ich habe gemerkt, daß es ihnen nicht paßte. Friesen sind empfindlich.
    Schon in der ersten Woche haben sie sich darüber beschwert, daß mein Sohn Äpfel in ihren Hinterhof geschmissen hat. Warum machen Sie keinen Apfelkuchen draus, hab ich scherzhaft gesagt. Aber man kann mit Friesen keine Witze machen, die haben keinen Humor…
    Obwohl der Erzähler unzuverlässig und was er sagt voller Vorurteile ist, begreift der Leser, worum es geht. Hier wird der Vertrag zwischen Autor und Leser nicht verletzt, weil der Erzähler schon die ganze Zeit unzuverlässig war. Selbst wenn der Leser es nicht von Anfang an kapiert, liegt keine Vertragsverletzung vor, es sei denn, der Autor läßt den Leser erst ganz am Ende wissen, daß der Erzähler unzuverlässig ist, und führt so den Leser an der Nase herum. Diese Art Späßchen mögen Leser nicht. Die werden Ihnen böse Briefe schicken, wenn Sie so was tun.
    FAIR PLAY
    Ihr Teil des Vertrags mit dem Leser verpflichtet Sie, fair zum Leser zu sein. Das bedeutet, wenn Sie zum Beispiel einen Krimi schreiben, müssen Sie dem Leser eine faire Chance geben, vor dem Detektiv auf die Lösung zu kommen. Das heißt, daß dem Leser alle Fakten, Anhaltspunkte und so weiter vorgelegt werden müssen.
    Wenn Sie einen Liebesroman schreiben - und wie wir alle wissen, besteht ein Teil des Reizes darin, daß die Liebenden so lange wie möglich getrennt sind -

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