Wie man Freunde gewinnt
Roosevelts Besitz in Oyster Bay.] Meine Frau nahm den Hörer ab und Mr. Roosevelt war persönlich am Apparat. Er hatte sie angerufen, um zu sagen, daß vor ihrem Fenster eine Wachtel säße, und wenn sie hinausschaue, könne sie sie vielleicht sehen. Solche Kleinigkeiten waren typisch für ihn. Jedesmal, wenn er an unserem Häuschen vorbeiging, hörten wir ihn rufen: ‹Huhu, Annie!› oder ‹Huhu, James!›, selbst wenn
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er uns gar nicht sehen konnte. Er schickte uns einfach einen freundlichen Gruß.»
Wie sollten die Angestellten einen solchen Mann nicht gern haben? Wie sollte es überhaupt jemand fertigbringen, ihn nicht zu mögen?
Als Roosevelt einmal im Weißen Haus vorsprach und sein Nachfolger, Präsident Taft und dessen Gattin gerade abwesend waren, begrüßte er alle «alten» Dienstboten mit Namen, sogar die Küchenmädchen, denn er war den einfachen Leuten stets aufrichtig zugetan.
«Als er Alice, das Küchenmädchen, sah», schreibt ein Biograph, «erkundigte er sich, ob sie immer noch Maisbrot backe. Alice antwortete ihm, daß sie es manchmal für die Dienstboten mache, aber von der Herrschaft äße es niemand.
‹Die wissen eben nicht, was gut ist›, brummte Roosevelt. ‹Ich werde es dem Präsidenten sagen, wenn ich ihn das nächstemal sehe.›
Alice brachte ihm ein Stück Maisbrot auf einem Teller und er aß es auf dem Weg in sein Büro, während er die Gärtner und Arbeiter grüßte, denen er unterwegs begegnete...
Er sprach mit jedem genauso, wie er es früher zu tun pflegte, als er selber hier wohnte. Die Leute erinnern sich heute noch daran, und Ike Hoover, der vierzig Jahre lang im Weißen Haus Pförtner gewesen war, erklärte mit Tränen in den Augen: ‹Das war der schönste Tag seit zwei Jahren und nicht um hundert Dollar möchten wir ihn missen.›»
Die gleiche Aufmerksamkeit gegenüber scheinbar
unbedeutenden Angestellten trug dazu bei, daß der Vertreter Edward M. Sykes einen bedeutenden Kunden behielt. Jahrelang, erzählte er, besuchte ich im Auftrag der Firma Johnson und Johnson die Kunden in der Gegend von Massachusetts. Zu ihnen gehörte auch der Besitzer eines Drugstores. Wann immer ich in seinen Laden kam, wechselte ich mit dem Mann an der Eisbar
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und auch mit dem Verkäufer ein paar Worte, bevor ich den Besitzer sprach, um seine Aufträge für Hygieneartikel zu notieren. Eines Tages jedoch ging ich zufällig direkt zum Besitzer, der mir rundheraus erklärte, ich könne
zusammenpacken, denn er sei nicht länger daran interessiert, die Produkte unserer Firma zu kaufen, die sich seines Erachtens zum Nachteil der kleinen Geschäfte zu stark auf
Selbstbedienungsläden und Warenhäuser konzentriere. Ich zog ab wie ein begossener Pudel und fuhr mehrere Stunden ziellos um die Stadt herum. Zuletzt entschloß ich mich noch einmal zurückzugehen und dem Ladenbesitzer unsere Einstellung zum mindesten zu erklären.
Als ich hinkam und den Laden betrat, wechselte ich wie gewohnt einen Gruß mit dem Mann an der Eisbar und auch mit dem Verkäufer. Dann ging ich zum Besitzer. Dieser lächelte mir freundlich zu und hieß mich willkommen. Hierauf erteilte er mir einen doppelt so großen Auftrag wie sonst. Verwundert sah ich ihn an und fragte, was denn seit meinem Besuch vor wenigen Stunden passiert sei. Er zeigte auf den jungen Mann an der Eisbar und erklärte, dieser sei nach meinem Weggang zu ihm gekommen und hätte ihm erzählt, ich sei einer der wenigen Vertreter, die sich die Mühe nähmen, ihm und den anderen Angestellten im Laden einen guten Tag zu wünschen, und wenn einer von allen seinen Auftrag verdiene, dann sei ich es. Der Besitzer war damit einverstanden und blieb fortan ein treuer Kunde. Und ich habe seither nie mehr vergessen, daß es zu den wichtigsten Eigenschaften eines Vertreters - und überhaupt jedes Menschen - gehört, sich aufrichtig für die anderen zu interessieren.»
Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß einem sogar die begehrtesten und meistbeschäftigten Leute ihre Aufmerksamkeit und ihre Zeit schenken, wenn man sich ehrlich für sie interessiert.
Vor Jahren leitete ich am Institut für Kunst und
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Wissenschaften in Brooklyn einen Kurs für junge Schriftsteller, und wir hätten gerne einige der bekanntesten Autoren gebeten, uns von ihren Erfahrungen zu erzählen. Also schrieben wir ihnen, wie sehr wir ihre Werke bewunderten und wie viel uns daran gelegen wäre, ihre Ratschläge zu hören, um hinter das Geheimnis ihres Erfolges zu
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