Wie man Freunde gewinnt
ringsum Anspielungen zu hören, daß Frauen für Managerposten eben doch nicht geeignet und viel zu gefühlvoll
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wären. Ich faßte mich kurz und erklärte, daß mir ein Fehler unterlaufen sei und ich die Untersuchung vor der nächsten Sitzung noch einmal wiederholen würde. Dann setzte ich mich und wartete, daß mein Chef explodierte.
Statt dessen dankte er mir für meine Arbeit und bemerkte, es sei nicht das erstemal, daß jemand bei einer neuen Aufgabe einen Fehler mache, und er rechne damit, daß die nächste Untersuchung genau und erschöpfend sei. Er versicherte mir vor allen Kollegen, er habe Vertrauen zu mir und wisse genau, daß ich mein möglichstes getan hätte und dieser Irrtum nur meiner ungenügenden Erfahrung und nicht mangelnden Fähigkeiten zuzuschreiben sei.
Mit erhobenem Kopf verließ ich die Sitzung, entschlossen einen solchen Chef nie mehr im Stich zu lassen.»
Selbst wenn wir recht haben und sich der andere eindeutig im Irrtum befindet, zerstören wir nur sein Selbstbewußtsein, wenn wir ihn bloßstellen. Der legendäre französische Flugpionier Antoine de Saint-Exupéry schrieb einmal: «Wir haben nicht das Recht, etwas zu sagen oder zu tun, das den andern in seinen eigenen Augen erniedrigt. Wichtig ist nicht, was wir von ihm denken, sondern was er von sich denkt. Einen Menschen in seiner Würde zu verletzen ist ein Verbrechen.»
Regel 5 Geben Sie dem andern die Möglichkeit, das Gesicht zu wahren.
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6 Wie Sie den andern zum Erfolg anspornen
können
Pete Barlow war ein alter Freund von mir. Er führte mit Hunden und Ponys eine Tiernummer vor und verbrachte sein Leben zwischen Wanderzirkus und Variete. Ich schaute ihm gerne dabei zu, wenn er neue Hunde für seine Nummer dressierte. Sobald ein Hund auch nur den kleinsten Fortschritt machte, lobte und streichelte ihn Pete, gab ihm ein Stück Fleisch und machte großes Aufheben von der Sache.
Das ist nicht neu; diese Technik wird von Dompteuren schon seit Hunderten von Jahren praktiziert.
Ich frage mich bloß, warum wir den gleichen gesunden Menschenverstand, den wir bei der Hundedressur anwenden, nicht auch walten lassen, wenn wir Menschen beeinflussen möchten? Warum geben wir ihnen nicht Fleisch statt der Peitsche? Warum loben wir nicht, statt zu tadeln? Ein Lob für jeden noch so kleinen Fortschritt spornt den andern zu weiteren Fortschritten an.
In seinem Buch Ich bin nicht viel - aber ich bin alles, was ich habe schreibt der Psychologe Jess Lair: «Lob wirkt auf den Geist des Menschen wie Sonnenschein; ohne ihn können wir nicht wachsen und blühen. Aber weil die meisten von uns darauf versessen sind, den andern mit dem kalten Wind der Kritik anzublasen, zögern wir immer wieder, unserem Nächsten die wärmende Sonne des Lobs zu spenden.»
Ich kann im Rückblick auf mein Leben feststellen, wo und wann ein paar Lobesworte meiner ganzen Zukunft plötzlich eine neue Wendung gaben. Vielleicht geht es Ihnen gleich wie mir.
Die Geschichte jedenfalls ist reich an schlagenden Beispielen für die Zauberkraft des Lobes.
Vor einem Jahrhundert arbeitete ein zehnjähriger Junge in
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einer Fabrik in Neapel. Er träumte davon, Sänger zu werden, aber sein erster Lehrer nahm ihm jeden Mut. «Du kannst nicht singen», erklärte er. «Du hast überhaupt keine Stimme. Sie tönt wie Rolläden, die im Winde scheppern.»
Seine Mutter jedoch, eine arme Bauersfrau, legte die Arme um den Knaben und sagte, sie wisse genau, daß er singen könne, er hätte sogar schon einige Fortschritte gemacht. Sie ging barfuß, um das Geld für die Schuhe zu sparen und damit seine Gesangstunden zu bezahlen. Das Lob und die Ermunterung der Mutter haben das Leben dieses Jungen grundlegend geändert.
Sein Name war Enrico Caruso, und er wurde der größte und berühmteste Opernsänger seiner Zeit.
Zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts lebte in London ein junger Mann, der gerne Schriftsteller geworden wäre. Doch es schien, als hätte sich alles gegen ihn verschworen. Seine Eltern waren zu arm gewesen, um ihn länger als vier Jahre in die Schule zu schicken. Der Vater wurde ins Gefängnis gesteckt, weil er seine Schulden nicht bezahlen konnte, und der junge Mann wußte, was es hieß, Hunger zu leiden. Schließlich fand er eine Stelle und klebte in einem von Ratten wimmelnden Lagerschuppen Etiketten auf Flaschen. Nachts schlief er in einer trostlosen Dachkammer, die er mit zwei Straßenjungen aus dem Londoner Elendsviertel teilte. Er hatte so wenig
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