Wie man im digitalen Zeitalter richtig aufblueht
Kognitionswissenschaftler und Direktor des Labors für Gehirn-, Kognitions- und Handlungsforschung an der Universität von Michigan. Bei fast allen nicht völlig belanglosen Aktivitäten »wird man durch das Multitasking verlangsamt, daneben wächst das Risiko, Fehler zu machen … Ablenkungen und Unterbrechungen sind unter dem Aspekt der Informationsverarbeitung äußerst negativ zu bewerten.«
Tatsächlich, so legte der Beitrag nahe, sei allein die Vorstellung des Multitaskings eine Art moderner Mythos – eine These, die von umfangreichen Forschungen in den Bereichen Psychologie, Neurowissenschaften und Soziologie untermauert wurde. Im Gegensatz zu einer Maschine sind wir Menschen nicht in der Lage, unsere Aufmerksamkeit mühelos auf mehrere komplexe Aufgaben zu verteilen. Stattdessen springen wir zwischen ihnen hin und her, führen also die entsprechenden Handlungen nicht simultan aus, sondern widmen uns jeweils nur kurz einer einzelnen Aufgabe.
Was Textbotschaften und E-Mails betrifft, so funktioniert dies meistens recht gut. Wenn wir jedoch mit etwas konfrontiert werden, das eine dauerhafte geistige Anstrengung erfordert, kommen wir mit unserer »gestückelten« Aufmerksamkeit nicht besonders weit, und mit unserem Allround-Multitasking ist es schnell vorbei. Nach internen Untersuchungen bei Microsoft beispielsweise benötigten Mitarbeiter durchschnittlich eine Viertelstunde, um zu »ernsthafter geistiger Arbeit« zurückzukehren, nachdem sie E-Mails oder SMS beantwortet hatten. Einmal unterbrochen, befassten sie sich anschließend oft mit anderen E-Mails oder surften im Netz.
Bereits 1998 prägte die amerikanische Autorin Linda Stone den Begriff der »dauerhaft geteilten Aufmerksamkeit«, um zu beschreiben, wie Informationen aus verschiedenen Quellen gleichzeitig oberflächlich verfolgt werden. Dieser Begriff oberflächlicher, wechselnder Aufmerksamkeit trifft den Punkt dessen, was viele von uns allzu häufig tun, wahrscheinlich besser als »Multitasking«: Es handelt sich um eine mentale Einzeltätigkeit, die zwar mehrere Aufgaben und Informationsquellen berührt, aber keiner davon jene ungeteilte Aufmerksamkeit widmen kann, die eine »richtige« Aufgabe eigentlich erfordern würde.
Mehrere Informationsquellen gleichzeitig zu beobachten ist unter bestimmten Umständen sehr hilfreich, etwa, wenn man Wissen breit recherchiert, ein Ereignis verfolgt, eine Gruppe von Menschen koordiniert oder schlicht auf Inspiration oder Unterhaltung aus ist. Es ist eine notwendige Fähigkeit in einem mit Informationen saturierten Leben. Dennoch ist es nicht dasselbe, wenn man seine gesamte Aufmerksamkeit einem einzelnen, komplexen Gedanken widmet – oder es sich gestattet, sich ganz auf den Ort einzulassen, an welchem man sich befindet, oder auf die Menschen, die sich mit einem dort aufhalten.
Wenn ich beispielsweise im Zug sitze und meine E-Mails checke, SMS schreibe, twittere oder Musik höre, bin ich gleichzeitig präsent und gar nicht vorhanden. Die Welt und die Menschen um mich herum sind sekundär zu den Ereignissen, die auf meinem Bildschirm stattfinden. Meine Aufmerksamkeit ist nicht nur woanders, sondern fragmentarisch auf mehrere wechselnde Orte verteilt.
Um diese Teilaufmerksamkeit herum haben sich neue Formen allgemeiner Anstandsregeln entwickelt. Wenn man Kopfhörer trägt, textet, telefoniert oder seine Umgebung filmt, nimmt man im Theater des digitalen Lebens eine Hauptrolle ein: die des autarken Bürgers, der durch jederzeit abrufbare audiovisuelle Eindrücke und Freunde von den dumpfen Beschränkungen des Alltags abgeschottet ist.
Wir respektieren dies deshalb, weil es Teil der Logik unseres modernen Lebens ist: die Isolation als notwendiges Gegenstück zu dauerhafter Erreichbarkeit. Es ist wichtig, diese Rolle von Zeit zu Zeit zu spielen. Der Übergang von einer temporären Maßnahme zu einem dauerhaften Lebensstil wirft jedoch zunächst mehrere wichtige Fragen auf. Welche Form von Aufmerksamkeit erwarten wir von unseren Mitmenschen, und welche Aufmerksamkeit schulden wir ihnen? Und welche Art von Aufmerksamkeit verdienen wir selbst, oder besser: benötigen wir, wenn wir in einem möglichst umfassenden Sinne wir selbst sein wollen?
2.
Diese Fragen betreffen nicht nur jene Handlungen, die wir gleichzeitig zu verrichten versuchen, sondern auch, inwieweit wir bereit sind, uns den digitalen Technologien in unserem Leben zu unterwerfen – und bis zu welchem Grad wir gewillt sind, nicht nur die
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