Wie man leben soll: Roman (German Edition)
wird einfach keine Frage beantworten.
Die Geyerstraße und die Waggerlallee will einem der Afrikaner, der links von einem sitzt, einsagen, wird jedoch von Diplomingenieur Hawelka zurechtgewiesen.
– Herr Kolostrum, wie lange leben Sie hier?
– Seit meiner Geburt.
– Und da wissen Sie nicht besser Bescheid? Das kann ich mir nicht vorstellen.
– Wissen Sie, ich gehe selten weg …
Mit einer herrischen Gebärde winkt er ab. Er wendet sich an den dritten Afrikaner, der wie die anderen trefflich vorbereitet ist und im Laufe der Befragung wie die anderen nur eine einzige Straße nicht kennt.
Nach einer Viertelstunde unterschreibt Diplomingenieur Hawelka die Prüfungsprotokolle, eines nach dem anderen. Dabei verliest er das Ergebnis.
– Herr Bamadou … hat nicht bestanden … Herr Didi-Bumsli … oder so ähnlich … hat nicht bestanden … Herr Fidibe … nicht bestanden … Herr Kolostrum … bestanden.
Enttäuscht erheben sich die Afrikaner. Protest wagen sie nicht. Man ist so überrumpelt, dass man sitzen bleibt und den Prüfer anstarrt. Kurz hört man hinter sich Geräusche vom Gang, fragende Stimmen. Dann fällt die Tür zu.
– Wieso …
Mehr bekommt man nicht heraus.
– Die Wirtschaft braucht Taxifahrer.
– Und wieso sind die dann nicht durchgekommen?
Diplomingenieur Hawelka steckt seinen Kugelschreiber in die Brusttasche des blauen Busfahrerhemdes, blickt einen aus seinen leeren Augen an und sagt:
– Die Wirtschaft braucht
Taxifahrer
.
Vor der Tür gratuliert Mirko mit triumphierendem Grinsen. Er stellt einem einen kleinen, dicklichen Mann vor. Das sei der neue Chef, bei ihm werde man arbeiten. Es sei alles bereits abgemacht. Vierzig Prozent vom Umsatz bekomme man, freie Schichteinteilung, man beginne nächste Woche.
Er sagt noch mehr, aber man hört nicht zu.
Merke: Wenn der Vorname des neuen Chefs Hans-Peter lautet, ist man verblüfft.
Tags darauf läutet es an der Tür. Angekündigt hat Hans-Peter sich nicht. Man solle eingeschult werden, es sei gerade Zeit, sagt er.
Fassungslos zieht man sich an. Es ist wahr, man braucht Geld. Aber als Taxifahrer zu arbeiten, nicht auszudenken! Andererseits wirkt Hans-Peter nicht wie jemand, dem man viel erklären kann. Er wartet an der Tür. Trinken will er nichts, man solle kommen, so viel Zeit sei auch wieder nicht. Er wedelt mit einem Schlüsselbund. Sein Atem riecht nach Weinbrand.
Die Einschulung besteht darin, dass Hans-Peter den Gebrauch des Taxameters erklärt, die Kreditkartenmaschine zeigt und man mit ihm eine Fahrt macht. In dieser kurzen Zeit erfährt man, dass er Widerspruch und Begriffsstutzigkeit mit harschen Worten ahndet. Von Minute zu Minute wird er einem unheimlicher. Dass er vorbestraft ist, hat einem Mirko gesagt, aber warum, hat er verschwiegen.
– Du studierst, nicht wahr?, fragt er.
– Kunstgeschichte, nickt man.
– Das ist der ärgste Scheißdreck, den es gibt.
Weiter sagt er nichts, und so erfährt man nicht, ob er die Richtung meint oder Studieren allgemein.
Vor einem Gasthaus namens Eisenhorn hält er. Freudig springt man aus dem Taxi. Erst während der Fahrt ist einem ein Licht aufgegangen. Mehrmals hat er rote Ampeln überfahren, und er spricht schleppend.
Im Gasthaus riecht es nach Schnaps und altem Bratfett. Hans-Peter grüßt in die Runde, alle scheinen ihn zu kennen. Er bestellt zweimal Bier, zweimal Korn. Kurz will man die Kellnerin zurückhalten, aber dann sieht man Hans-Peters Blick. Seine tätowierten Unterarme. Seine Goldkette.
Unter dem Tisch verkrallt man die Finger ineinander. Mit gebeugtem Kopf starrt man auf das schmutzige Tischtuch. Man zuckt zusammen, als Hans-Peter unvermutet zu schreien beginnt:
– Fredl, altes Kampfschwein! Setz dich zu uns! Halt’s Maul und setz dich!
Merke: Wenn man Fredl vorgestellt wird, möchte man nur noch sterben.
Man erfährt, dass Fredl auch Taxifahrer ist. Alle im Eisenhorn, die Kellnerin ausgenommen, sind Taxifahrer, und Taxifahrer duzen einander. Daraufhin muss man mit Hans-Peter und Fredl anstoßen.
– Bei dir alles klar?, lallt Hans-Peter eine Stunde später. Gefällt es dir hier?
Man nickt. Noch immer ist man zu feige zu gehen.
– Deine erste Schicht hast du am Sonntag. Guter Tag für Anfänger. Wenig los auf der Straße.
Man nickt.
Wenn man am Samstag mit Mirko kocht und am Tag darauf Taxi fahren muss, lädt man erstens Boban nicht mehr ein und empfindet es zweitens als lästig, nicht so
Weitere Kostenlose Bücher