Wie man leben soll: Roman (German Edition)
Vegetarierin ist. Ihr muss man immer ein eigenes Gericht kochen.
Inge schlägt sich gegen die Stirn. Sie leckt sich die Finger ab und macht sich nochmals auf den Weg zum Supermarkt. Man atmet auf und beginnt zur Melodie von
My sweet Lord
zu singen.
Ich bin schön
Oh ich bin schö-hön
Ja bin ich schön
So-ho schön.
Mich kennt jeder
im Kaffee
worin ich schwimme
ohne Tee
I-hich bin schö-hön…
Walter steckt den Kopf in die Küche und fragt:
– Hört das irgendwann auch wieder auf?
Seit Langem hat man als Gastgeber einen traurigen Ruf. Mirko behauptet, es sei unhöflich, zum Essen Geladenen Gulasch aus der Dose oder Tiefkühlpizza vorzusetzen, man sei ein Barbar und müsse sich kultivieren. Man hat ihm entgegnet, man könne eben nicht kochen, daraufhin hat er einen gezwungen, einen Kochkurs bei ihm zu belegen.
Nicht in Mirkos Wohnung findet die Kochstunde statt, sondern samstags mit Inge und Walter in der Wohngemeinschaft. Dies hat den Vorteil, dass es nach der Unterrichtseinheit zu zwanglosen Festlichkeiten kommen kann, die in Telefonaten mit Dieter Moor gipfeln.
Mirkos pädagogisches Talent spricht sich ebenso schnell herum wie die Heiterkeit, von der diese Abende geprägt sind. Bald muss man am Samstag einen zusätzlichen Tisch in die geräumige Küche stellen. Da Laura sich auch keine Hemmungen auferlegt, ohne Vorwarnung Freunde mitzubringen, hat man an diesem Tag Boban eingeladen. Er ist einer der Kinointellektuellen, die man im Programmkino an der Bar trifft.
Einen wie ihn hat man zuvor nicht kennengelernt. Er ist schon älter, etwa vierzig, hat Übergewicht. Er spricht rollend und laut. Sein auffälligstes Kennzeichen ist seine halbseitige Gesichtslähmung. Sich mit ihm zu unterhalten macht Spaß. Er verfügt über ein beeindruckendes Allgemeinwissen und hat zu jedem Thema eine Meinung. Sein Geld verdient er sich als Autohändler.
Neben Boban sind zwei von Walters Sozialistenfreunden eingeladen. Inge, die sich nach dem Einkauf wieder in ihr Zimmerverdrückt hat, um lautstark Wiedersehen zu feiern, wagt sich mit ihrem steirischen Fernfahrer, dessen Dialekt von niemandem außer ihr verstanden wird, in die Küche. Laura kommt mit Sophie. Die riechen nach Wein und sind in schriller Stimmung.
Um halb neun brutzeln der Orangenbraten und Lauras Kartoffelauflauf im Rohr. Wenn man sich die Schürze abbindet, die man von Mirko geschenkt bekommen hat und die mit schweinischen Motiven bedruckt ist, freut man sich darauf, nun auch selbst zum Glas greifen zu dürfen.
Merke: Im Leben gerät man in Situationen, mit denen man nicht gerechnet hat und in denen man intellektuell wie emotional überfordert ist.
Wenn man unter Mirkos Kommando konzentriert gekocht hat, sich dann umdreht und eine betrunkene Runde vorfindet, ist schon das eine verdrießliche Überraschung, da man nicht in gleicher Stimmung ist und schwer Zugang zur Unterhaltung findet. Dies jedoch könnte man durch den Genuss einiger Gläser Wein ausgleichen.
Wenn in dieser Runde jedoch die eigene Freundin auf Bobans Schoß sitzt und Boban küsst, was offenbar von allen übrigen Anwesenden für normal gehalten wird, stößt man an die Grenzen seiner Belastbarkeit.
Da man nicht weiß, wie man reagieren soll, setzt man sich, gießt sich Wein ein und schweigt.
Während man sich noch sammelt, geraten Boban und Sophie miteinander in Streit. Er meint, sie sei verrückt, wenn sie ihren muslimischen Freund heiraten und mit ihm nach Ägypten gehen wolle. Hier behandle er sie westlich und tolerant, dort unten gebe es für sie ein böses Erwachen. Der Zwist geht hin und her. Laura sitzt noch immer auf dem fremden Schoß und schaut aus dem Fenster, als ginge sie das alles nichts an. Da man sich in dergegebenen Lage für diese Meinungsverschiedenheit wenig interessiert, sollte man seinen Sessel nach hinten schieben und sich neben den Kühlschrank stellen, um dort allein weiterzutrinken.
In solchen Fällen wäre ins Nebenzimmer zu laufen die Handlung eines unreifen Jünglings, der auf den Trost seiner Mutter wartet. Am Tisch sitzenzubleiben hingegen bedeutete, sich vollends zum Kasper zu machen.
Wenn man auf diese Weise seinen Protest gegen das Verhalten seiner Freundin kundgetan hat, erwirkt man eine gewisse Solidarität der übrigen Gäste. Laut will sich niemand zu den Entwicklungen am Tisch äußern, doch in seiner Ecke wird man immer wieder von Personen angesprochen, die sich Wein oder Mineralwasser aus dem Kühlschrank holen.
– Wo
Weitere Kostenlose Bücher