Wie man sie zum Schweigen bringt
die braunen Augen glühten. Sie war eine charismatische Frau, die grauen Strähnen und die ausdrucksvollen Fältchen im Gesicht standen ihr ausgezeichnet. Sie sang »Mombasa« eine halbe Oktave tiefer als gewöhnlich und flirtete ungehemmt mit dem Publikum. Ich konnte mir gut vorstellen, was die Chauvinisten im Präsidium zu ihrem Auftritt gesagt hätten.
»Jetzt hab ich noch einen Cidre verdient! «, schnaufte Liisa, als sie sich zwischen schulterklopfenden und augenzwinkernden Bewunderern an unseren Tisch durchkämpfte. »Soll ich dir was mitbringen? «
»Ja, einen Gin Tonic«, antwortete ich und hielt ihr einen Zwanzigmarkschein hin. Dann drehte ich mich zu Kim und Lauri um. Lauri sprach lebhaft auf Kim ein, der in der Songliste blätterte, als wollte er vermeiden, Lauri ins Gesicht zu sehen.
»Na, Maria, hast du dir schon ein Lied ausgesucht? «, fragte Liisa und stellte mir ein Glas hin. Als ich verneinte, begannen sie und unsere Tischnachbarn mich zu drängen.
»Ich trau mich nicht, das Niveau an unserem Tisch ist zu hoch«, versuchte ich mich herauszuwinden.
»Aber nur, solange der da nicht singt«, sagte der Theologe und zeigte auf seinen Freund, der ihm die Zunge herausstreckte wie ein Fünfjähriger. Wieder blätterte ich in der Songliste, bis ich ganz am Ende ein paar Lieder von Virve Rosti entdeckte. »Ich bin stark« klang herrlich pompös, genau das Richtige gegen meinen Berufsfrust. Vielleicht sollte ich es meinen Vorgesetzten widmen. Ich ließ mich beim Discjockey vormerken und ging zur Toilette. Im »Cafe Escale« waren Frauen und Männerklos nicht getrennt, doch das war für mich nichts Neues. Ich hatte mir schon in der Schule angewöhnt, mich den Jungs anzuschließen und ein guter Kumpel zu sein, im Fußballclub wie in der Punk-Band. Inzwischen hatte ich allerdings langsam genug von dieser Rolle.
Auf dem Rückweg kam mir Kim Kajanus entgegen, der gerade seinen Songwunsch beim Discjockey abgegeben hatte. Unsere Blicke trafen sich, er grüßte verlegen und ging an die Theke. Die schwarze Kleidung ließ sein Gesicht noch blasser erscheinen und betonte das flammende Rot seiner Haare. In welcher Ecke der Welt mochte sich Eriikka Rahnasto gerade aufhalten?
An unserem Tisch wurde herzhaft über den derzeitigen Innenminister hergezogen. Viel zu schnell war ich mit Singen an der Reihe. Das Lampenfieber packte mich erst auf der Bühne, dann aber zitterten mir die Beine dermaßen, dass man es bestimmt im letzten Winkel sah. Warum hatte ich mich nur auf diesen Blödsinn eingelassen? Immerhin hatte ich seit dem letzten Auftritt unserer Punk-Band Rattengift nicht mehr in der Öffentlichkeit gesungen. Doch das Publikum begann schon bei den ersten Tönen zu jubeln.
Natürlich zitterte meine Stimme und traf gelegentlich den falschen Ton, aber ich sang mit solchem Pathos, dass ich begeisterten Applaus erhielt.
Ich verbeugte mich und breitete die Arme aus wie eine echte Primadonna. Vielleicht hätte ich doch Pumps mit hohen Absätzen anziehen und goldenen Lidschatten auflegen sollen. Die drei Minuten im Rampenlicht waren ein tolles Erlebnis, doch danach trank ich den Gin Tonic wie Wasser.
»Toll gesungen! «, sagte Lauri Jensen und legte seine Arme um meine Schultern. »Der Rotschopf ist übrigens ganz schön unfreundlich. Er behauptet, er hätte Petri nur flüchtig gekannt, zur Beerdigung zu kommen wäre ein spontaner Einfall gewesen. Ist der überhaupt schwul? «
»Wie, hast du ihn nicht danach gefragt? «, zog ich ihn auf.
»Nee. Ich geh jetzt, morgen Abend bin ich für den Familienzirkus zuständig, weil Jukka arbeiten muss und die Frauen ins Theater wollen.
Das halt ich nicht durch, wenn ich müde bin. Grüß Antti von mir! « Unsere Tischnachbarn erzählten hirnrissige Geschichten über alle möglichen Promis, und Liisa und ich kicherten wie die Teenager. Die Welt erschien mir längst nicht mehr so hoffnungslos wie ein paar Stunden zuvor. Immerhin war Frühling, und zu trinken gab es auch genug. Wir lachten und scherzten, bis Kim auf die Bühne gerufen wurde. Tiefernst stimmte er das »Lied vom toten Geliebten« von Chydenius an. Er hatte einen dunklen, leicht rauen Bariton, und das heftige Zucken seines Adamsapfels verriet seine Nervosität. Was für ein Ritual vollzog er, indem er dieses dramatische Lied in Petris Stammlokal sang?
»Trüb ist der Wein der Träume, dunkel der Wald des Schlafs, die andere Seite so fern, dein Blick erreicht sie nicht«, sang Kim, ohne sein Publikum
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