Wie man sie zum Schweigen bringt
Laune. Als sie mit bereitwillig aufgesperrtem Mund auf dem viel zu großen Zahnarztstuhl lag, spürte ich plötzlich Angst aufsteigen. Iida war so vertrauensvoll, doch bald würde ich ihr den Glauben an die Gutmütigkeit aller Menschen nehmen müssen, ich würde sie vor Injektionsnadeln warnen müssen und vor Fremden, die sie mit sich locken wollten. Wenigstens erfuhr ich durch meinen Beruf frühzeitig, ob sich in unserer Gegend Kinderschänder herumtrieben.
Iidas Zähne waren völlig in Ordnung, abgesehen von einem leichten Belag auf den oberen Backenzähnen. Wieder meldete sich das schlechte Gewissen: Ich hatte mir nicht immer die Zeit genommen, ihre Zähne sorgfältig genug zu putzen. Am liebsten wäre ich nach der Untersuchung mit ihr nach Hause gefahren und hätte mich in die Welt von Findus und Pettersson oder Pippi Langstrumpf geflüchtet, doch das musste bis zum Abend warten. Iida nickte unterwegs in ihrem Kindersitz ein, und ich lieferte sie schlafend bei der Tagesmutter ab.
Ich aß hastig und allein, denn in der Kantine saß niemand, dessen Gesellschaft ich ertragen hätte. Während meiner Abwesenheit waren zwei Papiere auf meinem Schreibtisch gelandet. Das eine enthielt die Anweisung, die Voruntersuchung im Fall Petri Ilveskivi einzustellen. Das andere war eine inoffizielle Mitteilung in Taskinens Handschrift: »Ich habe Jani Väinöläs Freilassung angeordnet. Es besteht kein Grund, ihn festzuhalten. Das Rauschgiftdezernat wird sich mit Seppälä beschäftigen, ihr könnt die Sache vorläufig ruhen lassen. J. T . «
Die Enttäuschung traf mich so schmerzhaft, als hätte Taskinen mich getreten. Als Vorzeigefrau war ich den Herren recht, es gab nicht viele Kommissarinnen. Aber offenbar hatten sich die Chefs eingebildet, nach der Ernennung zur Dezernatsleiterin würde ich aus lauter Dankbarkeit nach ihrer Pfeife tanzen.
Ich war mit dem Kopf durch die gläserne Decke zur Chefetage gestoßen, aber in Brusthöhe stecken geblieben. Jetzt schnitten mir die Splitter in die Haut, und eine innere Stimme raunte mir zu, ich wäre besser unten geblieben und hätte mir die Wunden erspart.
SECHZEHN
Ich rannte aus Leibeskräften. Nein, ich ließ mich nicht stoppen, ich würde auch aus dieser Situation als Siegerin hervorgehen. Aber es half nichts. Sanna Saarniaho, die gegnerische Verteidigerin, grätschte völlig den Regeln entsprechend, ich landete auf dem Hintern und verlor den Ball. Da sie noch vor einigen Jahren in der Nationalelf gespielt hatte, war es keine Schande, ihr zu unterliegen, aber ich ärgerte mich trotzdem.
Ich spielte härter und aggressiver als je zuvor. Seit der Einstellung der Voruntersuchung im Fall Ilveskivi war die Arbeit ein einziger Frust gewesen. Am Morgen hatte ich mit dem Staatsanwalt Ari Aho gesprochen, der den gleichen Standpunkt vertrat wie meine Vorgesetzten: Es war an der Zeit, die Ermittlungen zu beenden. Dummerweise war Katri Reponen nicht im Dienst gewesen, mit ihr hätte ich vielleicht etwas aushandeln können.
»Maria, nimm an! «, rief Anu Wang und schickte einen Steilpass über das halbe Feld. Es gelang mir, die Torhüterin zu täuschen und den Ball ins obere linke Eck zu platzieren. Mein Triumphgebrüll war verfrüht, denn trotz meines Torerfolgs unterlagen wir am Ende mit eins zu drei. Wir hatten die Mannschaften ausgelost, weil viele von uns sich noch an die demütigenden Szenen im Sportunterricht erinnerten, wenn die Champions ihre Klassenkameradinnen bei der Mannschaftswahl selektierten. Ich war im Allgemeinen unter den Ersten gewesen, die gewählt wurden, denn ich war nicht nur eine relativ gute Sportlerin, sondern auch so aggressiv, dass man lieber nicht gegen mich spielte. Da ich in meiner Jugend in einer Jungenmannschaft gespielt hatte, hatte ich mir angewöhnt, rücksichtslos zur Sache zu gehen.
Das Spiel tat mir gut, es erinnerte mich daran, dass man keine Chance hatte, an den Ball zu kommen, wenn man herumstand. Als ich mir am Spielfeld den Schweiß abwischte, trat Liisa Rasilainen auf mich zu.
»Wer hat dir beigebracht, so gemein gegen die Knöchel zu treten? «, grinste sie und trank von ihrem Sportlertrunk. »Du hast mich wohl mit den Hammeln aus der Chefetage verwechselt . «
»Entschuldigung. Hab ich dir sehr wehgetan? «
»Halb so schlimm. Ich hab morgen frei, deswegen hab ich mir gedacht, ich geh heute Abend zum Karaoke ins ›Cafe Escale‹. Kommst du mit? «
Ich hatte am nächsten Tag zwar nicht frei, sondern musste neben der üblichen
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