Wie man sie zum Schweigen bringt
saßen. Der Kurs war für arbeitslos gewordene Fabriknäherinnen vorgesehen, die das Ledernähen lernen und Informationen über die Gründung eines eigenen Unternehmens erhalten sollten. Unternehmergeist und Ich-AG waren die magischen Wörter, mit denen man die strukturelle Arbeitslosigkeit zu senken versuchte. Jeder war seines Glückes Schmied. Wer Unternehmergeist besaß, konnte es zum Millionär bringen, so lautete die Botschaft. Offenbar wollte man die Kursteilnehmerinnen zur Selbständigkeit erziehen, denn eine Lehrkraft war nicht zu sehen.
Suvi saß in der Mitte der letzten Reihe und hielt den Blick auf das dünne rote Leder geheftet, aus dem sie einen Ärmel nähte. Als ich zu ihr ging, schrak sie auf, und die Nadel stach neben das glänzende Leder.
»Mist! «, zischte sie und nahm den Fuß vom Pedal. »Musst du mich so erschrecken? Ist… ist Marko…«
»Komm mit auf den Flur«, bat ich leise. Suvi nahm ihre Handtasche und ihre Jacke und erhob sich, ohne die Nähmaschine auszuschalten. Der Flur bot zwar keine wirkliche Privatsphäre, doch ich zog Suvi wenigstens ein Stück vom Textilraum fort, bevor ich weitersprach.
»Ich habe eine traurige Nachricht für dich. Markos Leiche wurde heute früh auf der Mülldeponie in Ämmässuo gefunden. Es tut mir Leid . « Suvi stand eine Weile reglos da, dann stürzte sie sich auf mich und riss mich an den Haaren.
»Warum habt ihr ihn nicht rechtzeitig geschnappt! Verdammt nochmal, warum habt ihr eure Arbeit nicht getan! Marko…«
Ich spürte einen beißenden Schmerz an der Kopfhaut und an der Schläfe, bekam Suvis Handgelenke zu fassen und drehte ihr die Arme auf den Rücken. Nachdem ich sie eine Weile festgehalten hatte, begann sie leise und verzweifelt zu weinen. Ich ließ sie los, sie hockte sich auf den Boden.
»Ruhe da draußen, Sie stören den Unterricht«, wetterte ein etwa sechzigjähriger Mann an der Tür zu einem Klassenzimmer, doch ich verscheuchte ihn mit einer Handbewegung. Dann sammelte ich Suvis Sachen auf, Zigarettenschachtel, Feuerzeug und Kajalstift, die aus der Handtasche gefallen waren. Bevor ich ihr die Lederjacke um die zuckenden Schultern legte, strich ich mechanisch die Fransen glatt.
»Was ist passiert? «, fragte sie schließlich mit erstickter Stimme. »Ist er umgebracht worden? «
»Genaues kann ich dir noch nicht sagen. Er hatte eine Verletzung an der Brust, wahrscheinlich eine Schusswunde. Er wird heute Nachmittag obduziert . «
Sie stand hastig auf.
»Ich will raus hier! «, sagte sie und wischte sich die Nase am Ärmel ihrer Jacke ab. »Ich muss zu meinen Kindern . « Sie lief die Treppe hinunter, ich setzte ihr nach.
»Ich kann dich nach Hause bringen«, bot ich an, denn ich zweifelte an ihrer Fahrtüchtigkeit. Ihr Gesicht glühte, und in ihren Augen standen Tränen.
»Ich lass meinen Wagen nicht hier stehen, da wird er bloß geklaut! Ich kann fahren. Ich hol die Kinder von der Schule ab, sie haben beide um eins Schluss…«
Ihre Stimme war dünn und weinerlich, sie schlang die Arme um sich, als wolle sie sich selbst Trost spenden. Das verlaufene Make-up hatte schwarze Streifen in ihrem Gesicht hinterlassen, die an die Trauerbemalung primitiver Stämme erinnerte. Ich durfte sie nicht allein lassen, also schaltete ich die Lenkradsicherung und die Alarmanlage an meinem Wagen ein und bat Suvi, mir ihre Autoschlüssel zu geben. Wenn ich wieder im Präsidium war, würde ich eine Streife bitten, meinen Saab abzuholen.
Suvi legte den zerdellten Kindersitz nach hinten und stieg ein. In ihrem Datsun roch es nach Zigaretten und Öl, am Rückspiegel hingen kleine Plüschwürfel und ein Wunderbaum. Vor meinem Dienstwagen hatte ich einen kleinen Fiat und davor den klapprigen Lada meines Onkels gefahren, Luxusautos im Vergleich zu diesem Gefährt. Es dauerte eine Weile, bis ich das richtige Verhältnis zwischen Kupplung und Gas fand und den Wagen in Gang brachte. Suvi trocknete sich mit einer Stoffwindel das Gesicht.
»Wann ist er gestorben? «, fragte sie nach einer Weile.
»Auch das können wir erst nach der Obduktion sagen . «
»Und es ist bestimmt mein Marko? «
Als ich erwiderte, ich hätte die Tätowierung gesehen, brach sie erneut in Tränen aus. Ich musste mich ganz auf das Fahren konzentrieren, denn schon bei achtzig Kilometern schepperte der Datsun so heftig, dass man glauben konnte, er würde jede Minute auseinander fallen.
»Du hast einen Kratzer an der Schläfe, von meinem Ring wahrscheinlich«, sagte
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