Wie Samt auf meiner Haut
verletztes Küken zu begutachten.
»Man mußte den Riesenkerl von Sergeanten auf einer Tragbahre hinausschaffen.«
Sie inspizierte die dunklen Flecken in Velvets Gesicht. »Zu schade, daß der
Schuft noch Atem in sich hatte.«
Velvet
sparte sich die Bemerkung, daß der Sergeant tatsächlich seinen letzten Atemzug
getan hätte, wäre es nach Jason gegangen.
»Was kann
ich Ihnen helfen?« fragte Velvet, was ihr von seiten Mrs. McCurdys einen
strengen Blick einbrachte.
»Du wirst
doch nicht etwa arbeiten wollen?«
»Ich
brauch' das Geld, Mrs. McCurdy.«
Die Frau
seufzte. »Meine Betsy ist eben aus dem Dorf zurückgekommen. Sie kann das
Geschirr spülen. Du setzt dich hier hin und flickst ein paar Küchentücher.«
Das war
keine schwere Arbeit, und Velvet war der Frau dankbar für ihr Mitleid. Sie
plauderten eine Weile, bis Betsy kam, ein hübsches, rothaariges Mädchen in
Velvets Alter, dessen strahlendes Lächeln es noch gewinnender machte. Die
beiden fanden sofort Gefallen aneinander. Und wie ihre Mutter und das übrige
Gesinde, das nacheinander hereinkam, zeigte auch Betsy sich sehr mitfühlend.
Nach zwei Stunden hatte Velvet das Gespräch unauffällig in die gewünschte
Richtung gelenkt.
»Der Mann,
der mir beistand ...«, erwähnte sie beiläufig, »der sagte, er wäre schon vor
einigen Jahren hier gewesen... an dem Abend, als der alte Herzog ermordet
wurde. Er sägte, daß ihm damals die Gäste hier nicht behagt hätten.«
»Ich wußte
ja, daß er es ist«, rief Mrs. McCurdy schrill vor Begeisterung aus. »Der
stattliche junge Gentleman, der gestern kam, war schon einmal wegen meiner
Betsy da.«
Velvet
runzelte die Stirn. Jason hatte die hübsche Rothaarige nicht erwähnt. »Er war
sehr tapfer«, sagte sie mit einem Anflug von Groll. »Er hat mich unter
Lebensgefahr gerettet.« Im weiteren Verlauf dirigierte Velvet das Gespräch
Schritt um Schritt so, daß man wie von selbst auf die Nacht des Mordes am alten
Herzog zu sprechen kam.
»Ich bin so
gut wie sicher, daß es hier jemanden geben müßte, der sah, was damals wirklich
geschah«, sagte sie leise und in vertraulichem Ton. »Ich glaube, jemand weiß,
daß der junge Herzog unschuldig war.«
Betsy sah
sich nach beiden Richtungen um, als wolle sie sichergehen, daß niemand
zuhörte, dann flüsterte sie Velvet ins Ohr. »Ich sah es«, sagte sie. »Damals
war ich erst zehn, aber ich sah den Mann mit der Pistole die Hintertreppe
hinaufschleichen. Und ich sah auch, wie er durchs Fenster zielte und schoß.«
Die Erinnerung jagte Betsy Schauer über den Rücken. »Ich war noch ein Kind,
aber ich werde es nie vergessen.«
Velvet war
vor Überraschung zunächst wie gelähmt. Ihr Herz schlug so heftig, daß sie schon
glaubte, es würde ihre Rippen sprengen. »Hast du gesehen, wer es war?«
Wieder warf
Betsy einen Blick in alle Richtungen. »Er war es, diese schleimige Kröte. Seine
Durchlaucht, der Duke of Carlyle. Nur war er damals noch kein Herzog.«
Velvet
holte tief Atem, ihr Herz hüpfte aufgeregt in ihrer Brust. Geschafft – sie
hatte eine Zeugin gefunden! Erschrocken drehte sie sich um, als durch die
offene Küchentür eine laute Männerstimme drang.
»Du hast
dich verspätet«, donnerte Jason vorwurfsvoll.
Velvet
sprang auf, lief zu ihm und sagte glücklich: »Es tut mir leid. Die Zeit verging
schneller, als ich dachte, aber ich denke, es hat sich gelohnt.« Sie schaute ihn
so strahlend an, daß er verblüfft schwieg und auch keinen Widerstand leistete,
als sie nach seiner Hand faßte und ihn in die Küche zog.
»Lord
Hawkins ... ich möchte, daß Sie jemanden kennenlernen.« Sie mußte gegen einen
Anflug von Eifersucht ankämpfen, als sie sagte: »Falls ihr beide euch nicht
schon begegnet seid.«
Sie
hatten es
geschafft. Es war ihnen tatsächlich geglückt, einen Augenzeugen des Mordes zu
finden. Obwohl zur Tatzeit noch ein Kind, war das Mädchen eine Trumpfkarte in
der Partie, die Jason gegen seinen Bruder zu eröffnen gedachte.
Während er
den Phaeton über die Landstraße nach London kutschierte, warf er einen Blick
auf die zarte Gestalt, die an seiner Schulter schlummerte. Mit zärtlicher
Fürsorge zog er ihr die Reisedecke bis ans Kinn und steckte sie als Schutz
gegen die Kälte sorgsam um sie herum fest. Im wässrigen grauen Sonnenschein,
der sich zwischen den Wolken hervorkämpfte, konnte er die dunklen Verfärbungen
in ihrem Gesicht sehen, und wieder stieg Wut in ihm hoch.
Er wußte
nur zu gut, welche Schmerzen sie leiden mußte,
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