Wie Samt auf meiner Haut
gesessen und dort meist auch ihre Mahlzeiten
eingenommen. Er fand ihre Offenheit und Ehrlichkeit erfrischend und ihre Scheu
bezaubernd. Dazu kam ihre vornehme Gesinnung und die Tatsache, daß sie ihn
geradezu ideal ergänzte, ihre Weichheit seine Stärke, ihr sanftes Wesen seine
kühne Entschlossenheit, die zuweilen der Zügelung bedurfte.
»Christian,
ich bin bereit.«
Er nahm
ihre Hand und half ihr die letzten Stufen hinunter. »Mary, sind Sie sicher?
Kann ich Sie nicht umstimmen?«
»Christian,
er war mein Vater, und ich hatte ihn lieb. Ein letztes Lebewohl bin ich ihm
schuldig. Ich könnte es nicht ertragen, wenn ich seiner Beerdigung
fernbliebe.«
Wut regte
sich in ihm, Zorn auf Avery Sinclair. »Wenn der Herzog kommen sollte und Ihnen
die Rückkehr nach London befiehlt, habe ich keine Möglichkeit mehr, Sie zu beschützen.«
Das Erbeben
ihres grazilen Körpers verriet Christian ihre Angst. »Ich muß zur Beerdigung«,
hauchte sie. »Bitte, seien Sie mir nicht böse.«
Er war
nicht böse, sondern zutiefst enttäuscht. Mary Stanton hätte ihm gehören sollen
und nicht Carlyle. Er wäre ihr mit Liebe
und Hochachtung begegnet, während er gar nicht daran denken mochte, wie der
Herzog mit ihr umgehen würde.
»Wären Sie
nicht gewesen ...«, ihre Stimme erhob sich kaum über ein Flüstern, »... hätte
es nicht diese gemeinsamen Tage gegeben ... Ihre ständige Ermutigung – ich weiß
nicht, was ich getan hätte. Aber Sie sind klug und stark, und jetzt ist etwas
von dieser Stärke und Klugheit auf mich übergegangen.«
In ihren
hellen Augen schimmerten Tränen. Sie perlten auf ihren goldenen Wimpern und
flossen über ihre Wangen. »Christian, ich werde Sie nie vergessen. Mein Leben
lang werde ich diese wundervollen Tage mit Ihnen im Gedächtnis bewahren.«
Bei ihren
Worten durchfuhr es ihn wie ein Stich.
»Mary ...«
Er nahm sie in die Arme und hielt sie fest, während Bedauern und Angst um sie
in seiner Brust kämpften. »Meine Liebe, ich bitte Sie ... bitte, bleiben Sie
hier, wo Sie in Sicherheit sind. Mit der Zeit wird sich eine Lösung finden,
ein Ausweg aus diesem Chaos, in das Carlyles Machenschaften uns stürzten. Es
gibt immer Mittel und Wege, wenn man ...«
»Lieben Sie
mich, Christian?«
Er umfaßte
ihr Gesicht mit beiden Händen. »Mary, Sie wissen, wieviel mir an Ihnen liegt.«
Er spürte,
wie sie unmerklich den Kopf schüttelte. »Das zählt nicht. Ich bin ruiniert, bin
nicht mehr rein, nicht die Frau, die ein Mann wie Sie heiraten würde.«
Christian
faßte nach ihren Armen. »Das ist nicht wahr. Carlyle kann Ihnen nichts anhaben
– Sie sind süß, lieb und unschuldig. Sagen Sie so etwas niemals wieder.«
Mary sah
ihn traurig an. »Sie sind der kühnste und tapfer ste Mann, den ich kenne, und
ich liebe Sie aus ganzem Herzen. Würden Sie mich ebenso lieben, gäbe es
nichts, was ich nicht täte, damit wir zusammensein können.«
»Mary,
bitte. Ich bin kein Mann, der leicht liebt. Meine Gefühle für Sie sind tief
und echt, aber Liebe? Ich weiß nicht recht ... und ich werde nicht lügen, um
Sie zu halten.«
Ihre Kehle
wurde eng, und ihre Tränen flossen heftiger. »Deswegen liebe ich Sie,
Christian, und werde Sie immer lieben.«
Er spürte,
wie sich in seiner Brust etwas zusammenkrampfte. »Mary, bitte, gehen Sie
nicht.«
»Ich muß.
Machen Sie es mir nicht noch schwerer, als es ist.«
Er holte
bebend Luft. Wenn er sie lieben würde, hätte er sie vielleicht zum Bleiben
überreden können, hätte einen Weg gefunden, der ihnen ein gemeinsames Leben
ermöglichte.
Wenn er sie
lieben würde.
Aber liebte
er sie? Da er noch nie eine Frau geliebt hatte, kannte er dieses Gefühl nicht.
Vielleicht hätte er lügen sollen? Er verwarf den Gedanken sofort wieder, da es
Mary gegenüber nicht fair gewesen wäre.
Mit
verbissener Miene geleitete er sie zum Wagen, half ihr beim Einsteigen und nahm
den Platz ihr gegenüber ein. Seine langen Beine ausstreckend, setzte er sich
für die Fahrt zurecht, deren Ziel Marys Landsitz in East Sussex war.
Er wollte,
daß sie vor der Ankunft des Herzogs einträfe, damit es aussähe, als hätte sie
die ganze Zeit über dort geweilt. Christian beabsichtigte, sie den größten Teil
der Strecke zu begleiten und sie nur das letzte Stück allein fahren zu lassen.
Der Gedanke
an die Trennung ließ den Druck in seiner Brust ins schier Unerträgliche
wachsen. Irgendwie werde ich ihr zu Hilfe kommen, gelobte er sich.
Draußen
herrschte Dunkelheit. Eine schmale
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