Wie Samt auf meiner Haut
Mondsichel erhellte spärlich die
menschenleeren Straßen in der Umgebung des Londoner Hauses der Havershams. Die
einzigen Geräusche, die die kühle Nachtluft durchdrangen, waren Räderrollen,
wenn ein Wagen seine Insassen nach Hause brachte, und der einsame Ruf der Eule,
die sich im Stall eingenistet hatte.
Es ist
aus. Nach all den Jahren ist schließlich das Ende gekommen. Er war erschöpft, am Ende seiner
Kräfte. Das Gefühl der Niederlage lastete schwer auf seinen Schultern, so erstickend,
daß er sich in der Stille seines Schlafzimmers wie zwischen Kerkermauern
eingesperrt fühlte.
Nur eine
einzige Kerze flackerte unruhig im Raum und tröpfelte in die kleine
Wachspfütze, die sich im Lauf der Stunden um sie herum gebildet hatte. In
einem Sessel in der Ecke sitzend, die langen Beine vor sich ausgestreckt, das
Haar wirr um seine Schultern, führte er die Brandykaraffe an die Lippen und
nahm einen tiefen Zug.
Heute
brauchte er diesen Trost, da es die Dämonen des Hasses zu vertreiben galt.
Seit vielen
Jahren hatten sie ihn nicht mehr so bedrängt wie an diesem Abend. Als er im
Kerker Leid, Schmerz und Demütigungen ausgesetzt gewesen war, hatte er dies
alles nur ertragen, weil er den Tag erleben wollte, an dem sein Bruder für
alles büßen würde.
Racheschwüre
hatten ihn die quälenden Wochen im gedrängt vollen Schiffsgefängnis überstehen
lassen, wo er tagelang so stark an Seekrankheit gelitten hatte, daß er in
seinem eigenen Erbrochenen schlief, zu schwach, um den Kopf aus der Hängematte
zu heben, den ebenso ekelerregenden Ausdünstungen seiner Mitgefangenen auf
engstem Raum ausgesetzt.
Haß auf
seinen Bruder hatte ihm die Kraft verliehen, die sengend heißen Tage unter der
unbarmherzigen Sonne Virginias zu überleben, bei karger Kost und knappen
Wasserrationen, die endlosen Tage der Schwerarbeit, im ständigen Kampf gegen
Ungeziefer, Krankheit und dem in den Sümpfen lauernden Tod.
Als er
schon glaubte, der Tod sei besser, als noch einen einzigen Sonnenaufgang zu
erleben, hatte allein der Gedanke an Avery in Carlyle Hall ihn am Leben
erhalten, an Avery, der sich an Fasan und Champagner delektierte, während er
selbst mit wurmigem Reis und wässriger Brühe, aus einer einzigen Ochsenkeule
für fünfzig Mann gesotten, seinen Hunger stillen mußte. Der Gedanke an Avery,
der das Vermögen der Carlyle verschwendete, den guten Namen ihres Vaters besudelte
und mit der Frau schlief, die Jason einst zu lieben glaubte.
Eiserne
Entschlossenheit und ein geradezu schwindelerregend starkes Verlangen nach
Rache waren seine Verbündeten.
Und immer
hatte er fest daran geglaubt, daß er schließlich aus diesem Kampf siegreich
hervorgehen würde. Immer. Heute aber, in der Dunkelheit seines stillen Zimmers,
saß er da und sah sich der schrecklichen Gewißheit gegenüber, daß der Sieg
Avery zufallen würde. Die Beweise, die er vorzuweisen hatte, reichten nicht
aus, um ihn zu rehabilitieren. Da Celia nun tot war, würde er England
verlassen müssen, ohne daß der Gerechtigkeit zum Sieg verholfen worden wäre und
er Vergeltung geübt hätte. Wenn er im Lande blieb, drohte ihm früher oder
später der Galgen.
Dann würde
Avery seinen letzten gemeinen Sieg errungen haben.
Jason nahm
erneut einen tiefen Zug aus der Karaffe. Aber wozu dieser Selbstbetrug? dachte
er ironisch. Sein Bruder hatte doch schon vor Jahren durch seinen Betrug den
Sieg davongetragen.
Ihn selbst hatte man fast gebrochen, in der grausamen Zeit in Georgia und
während seiner Flucht durch die tückischen Sümpfe, als er, verfolgt von
Spürhunden, mehr Tier als Mensch war.
Damals war
Überleben für ihn das einzige Ziel, ein Drang, dem er alles unterordnete und
opferte, was er einst gewesen war, und der auch die letzten Reste von
Anständigkeit in ihm tilgte. Seit dieser Zeit hatte er für sich jede
Möglichkeit verwirkt, ein geordnetes Leben wie einst zu führen, der Mensch zu
sein, der er früher gewesen war.
Sein Blick
schweifte zur Tür, und seine Gedanken wendeten sich der Frau in dem Raum
nebenan zu, der zierlichen, dunkelhaarigen Velvet Moran ... Velvet Sinclair,
wie er sich berichtigte. Seine Frau – in allen Belangen, bis auf einen. Es war
eine rechtmäßige, vor Gott und der Welt geschlossene Ehe.
Eine Ehe,
die er ablehnte – die er nie hätte führen dürfen, wie er sich mit einem
heiligen Eid geschworen hatte.
Wieder nahm
er einen tiefen Schluck. Früher hatte er eine solche Verbindung ersehnt, hatte
von Kindern und einem Heim
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