Wie Samt auf meiner Haut
ihrem Gedächtnis
streichen würde.
Musik durchflutete die prachtvollen
Salons und strahlend erhellten Korridore von Carlyle Hall. Spinettklänge
schwebten durch den Ballsaal mit seinem Goldzierat und den unzähligen
Spiegeln, in dem Avery Sinclair im flackernden Licht einer der unzähligen
Wandleuchten allein dastand und die kurze
Atempause genoß. Er mußte sich von seinen Gästen – und seiner sogenannten Braut
– erholen.
Als er
einen kurzen Blick auf ihre zierliche, tanzende Gestalt erhaschte, auf ihr
gelocktes Haar, das wie poliertes Holz im Kerzenschimmer leuchtete, knirschte
er mit den Zähnen, bis er einen nadelfeinen Schmerz in der Wange spürte. Der
Anblick dieser Frau genügte, um ihn in Rage zu bringen. Es hatte ihn so viel
Mühe gekostet, den Anschein von Reichtum und Macht zu wahren. Wie hatte sie nur
die Wahrheit entdeckt? Wo hatte sie in den Tagen vor der Hochzeit gesteckt,
als sie angeblich entführt worden war?
Er hatte
nicht die leiseste Ahnung, und es war ihm auch herzlich egal. Aber wo immer sie
gewesen sein mochte, eines war klar. Sie war ein gerissenes kleines Luder,
klüger als er geglaubt hatte. Es würde ihm nicht wieder passieren, daß er sie
unterschätzte.
Avery
rückte sein schwarzes, hermelinbesetztes Samtbarett mit der langen Feder
schräg zurecht und begutachtete sich im Spiegel. Als Heinrich VIII. kostümiert,
prangte er in einem Wams mit geschlitzten und gebauschten Ärmeln, einer Weste
aus Silberbrokat und weißen Seidenstrümpfen. Gipfel der Echtheit bildete sein
bestickter, silbrigglänzender Hosenlatz.
In Gedanken
bei dem König, den er darstellte, lächelte er grimmig, von dem Wunsch beseelt,
diesem kleinen Biest Velvet Moran auch den Kopf abschlagen zu können.
Er verschob
den Latz zu einer bequemeren Position über seinem Geschlecht. Vielleicht würde
er sich Heinrich tatsächlich zum Vorbild nehmen, indem er sich mit dem Mädchen
ein paarmal vergnügte und es dann beseitigte.
Er hing dem
Gedanken mit einer Aufwallung von Befriedigung nach, wobei sein Blick sie
verfolgte, während sie ein Menuett mit
dem alten Earl of Whitmore tanzte, dessen lüsterne Greisenaugen gierig an
ihrem Busen hingen. Gut, daß ich sie los bin, dachte er, und wandte seine
Aufmerksamkeit einem lohnenderen Objekt zu: Einem
schlanken jungen Mädchen, das er schon einige Male gesehen hatte, einem
aufblühenden Geschöpf, das seine erste Saison in London erlebte. Sir Wallace
Stanton, ihr Vater, war Finanzberater des Königs und mit seinen Unternehmungen
sehr erfolgreich. So gehörte er zu den wenigen, die tatsächlich Geld gemacht
hatten, ehe die Südsee-Projekte wie eine Seifenblase geplatzt waren. In den
Jahrzehnten seither hatte er seinen damaligen Profit zu einem Riesenvermögen
vermehren können. Stanton besaß Reichtum und Macht, aber nur eine einzige
Tochter, die achtzehnjährige Mary, Erbin aller seiner Besitztümer.
Der
alternde Sir Wallace hatte alles, was ein Mensch sich nur wünschen konnte.
Seinen größten Wunsch allerdings, einen Adelstitel für seine Tochter, hatte er
noch nicht verwirklichen können.
In den
letzten Monaten hatte Avery munkeln gehört, daß das Mädchen und ihr Vermögen zu
haben wären. Damals war er nicht interessiert gewesen, da er die
Haversham-Erbin aufs Korn genommen hatte. Eine Ehe mit einer Nichtadeligen kam
für ihn nicht in Frage.
Der Verlust
seiner Braut und sein drohender Ruin zwangen ihn zu seinem Leidwesen, seine
Lage neu zu überdenken.
Avery nahm
eine Prise Schnupftabak, als er das junge blonde Mädchen studierte. Dann
steckte er die juwelenbesetzte Dose wieder in seine Weste. Man konnte nicht
behaupten, daß es Mary an etwas gemangelt hätte. In ihrem schlichten
Milchmädchenkostüm wirkte sie blankgeschrubbt und auf simple Art hübsch. Nicht
so lebhaft wie Velvet Moran, dafür aber
um so lenkbarer. Vergangene Woche war er in London zu einer geheimen
Unterredung mit ihrem Vater zusammengetroffen. Bei der Aussicht, seine Mary
könnte einen Herzog zum Mann bekommen, hatte sich Sir Wallace fast
überschlagen.
Man war zu
einer vorläufigen Übereinkunft gelangt, die eine riesige Mitgift mit der Zusage
verband, daß der Duke of Carlyle das gewaltige Stanton-Vermögen erben würde.
Die Sache
hatte nur einen Haken. Mary Stanton mußte einverstanden sein.
Avery
sandte ihr über den schimmernden Marmorboden hinweg ein Lächeln zu. Er sah, daß
sie mit dem Earl of Balfour tanzte, einem gutaussehenden reichen Mann, der
sich, wie zu erfahren war,
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