Wie Samt auf meiner Haut
nicht den geringsten Appetit verspürte. Vielleicht wußte
man hier etwas, das ihm weiterhelfen konnte. Es herauszufinden, würde nicht
einfach sein, doch bei ihm regte sich ein Fünkchen Hoffnung. Er vertilgte den
letzten Bissen, ließ ein paar Münzen auf den Tisch fallen und stand auf.
»Meinen
Dank für das köstliche Mahl, Mistreß, und für Eure Unterhaltung.«
»Sie kommen
doch wieder? Um mein Mädel zu sehen?«
Wieder rang
sich Jason ein Lächeln ab. »Ja, möglich.« Er würde ganz sicher kommen. Aber er
mußte auf der Hut sein und den richtigen Zeitpunkt abwarten.
Wenn er bis
dahin nicht am Galgen gelandet war, konnte ihn nichts davon abhalten, hier
wieder einzukehren.
9
Velvet stand vor dem hohen Ankleidespiegel
in ihrem Zimmer, das wie fast alle Räume und Korridore im Obergeschoß sehr
karg eingerichtet war. In ihrem Schlafgemach hatte ein schöner Rosenholzschrank
einem aus schlichter Eiche weichen müssen. Die Wände waren kahl, da sämtliche
alten Gemälde samt den Goldrahmen verkauft worden waren. Nur die
pfirsichfarbenen Vorhänge aus Seidenmoiré samt passenden Bettdraperien und
Überdecke waren ihr geblieben.
Velvet
lächelte insgeheim, als sie daran dachte, daß sie die Draperien womöglich zu
einem Kleid würde verarbeiten lassen müssen, wenn sich ihre finanzielle Lage
nicht bald besserte.
Aber heute
war keine Zeit für solche Gedanken. Heute wollte sie zum Kostümfest nach
Carlyle Hall fahren, dem letzten Schritt vor der Auflösung ihrer Verbindung mit
dem Herzog. Bei dem Gedanken an ihn überlief sie ein eisiger Schauer. Avery
Sinclair hatte etwas Bedrohliches an sich, das er bis zu ihrer entscheidenden
Aussprache im Queen's Salon gut verborgen hatte. Zum ungezählten Male dankte
sie insgeheim ihrem Entführer, weil er sie vor dem schrecklichen Schicksal
einer Ehe mit Avery bewahrt hatte, und fragte sich, wohin der große,
gutaussehende Schurke verschwunden sein mochte.
Kaum dachte
sie an ihn, als auch schon ihre Wangen erglühten und Erinnerungen an seine
leidenschaftlichen, verzehrenden Küsse sie überfielen. Das Bild seiner Hände
auf ihren Brüsten. Guter Gott, wie hatte sie sich bemüht, diese Bilder zu
verdrängen, hatte in der kleinen Dorfkirche auf Knien darum gebetet, sie möge
von ihnen nicht mehr heimgesucht werden.
Statt
dessen hatte sie sich jede Nacht schlaflos im Bett gewälzt,
hatte sich gewünscht, ihn wiederzusehen, so wie sie sich gewünscht hatte, er
möge kein Verbrecher sein und zu ihrer
Verteidigung herbeieilen wie damals, als er aus dem Nichts
aufgetaucht war und sie aus der Kutsche geraubt hatte. Sie mußte einen anderen
finden, einen reichen standesgemäßen
Ehemann, der nicht auf ihre Mitgift angewiesen war. Und
sie würde ihre Suche auf dem Kostümball beginnen. Natürlich war dabei ein
gewisses Maß an Fingerspitzengefühl angebracht. Ihr Hauptziel war es, die Lästermäuler
zum Schweigen
zu bringen, aber mit Averys widerstrebend gewährter
Hilfe glaubte sie, dem Klatsch ein Ende bereiten zu können. Danach kam der
Anfang der Saison. Vielleicht würde es ein
neues Gesicht unter den Freiern geben, die die Hand einer reichen Erbin
suchten und selbst reich und angesehen waren. Mit ein wenig Glück würde der
Auserwählte vielleicht sogar einen Funken Gefühl in ihr entfachen.
Und eines
Tages würde dieses Gefühl vielleicht sogar zu Liebe werden.
Velvet
seufzte und drehte dem Spiegel den Rücken, als ihre Zofe eintrat, um ihr das
Kostüm für den Ball zu bringen, das einzige, was noch für die Fahrt eingepackt
werden mußte.
»Eben ist
es fertig geworden, Mylady. Es ist wunderschön. Sie werden auf dem Ball alle in
den Schatten stellen.«
Das hoffte
Velvet auch, da sie heute auf Carlyle Hall zur Tat schreiten wollte. Sie
lächelte, als sie sich vorstellte, wie enttäuscht der
Herzog sein mußte, weil nicht sie es war, die für die
Unkosten des glänzenden Festes aufkommen würde. Das arme Wesen, auf das dieses
Los schließlich fallen würde, konnte
ihres Mitgefühls sicher sein. Velvet zweifelte nicht daran, daß der Duke of
Carlyle eine Frau für sich gewinnen würde – sehr bald sogar.
»Danke,
Tabby. Sag Martha, daß sie wie immer großartige Arbeit geleistet hat.«
Besonders großartig, wenn man bedachte, wie viel Improvisationskunst
dahintersteckte. Andererseits war es nicht weiter erstaunlich, da die wenigen
Dienstboten, die noch im Windmere ausharrten, längst gelernt hatten, mehrere
Funktionen zu erfüllen. Wenn Martha sich nicht als
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