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Wie Sand in meinen Händen

Wie Sand in meinen Händen

Titel: Wie Sand in meinen Händen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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ihres Leids widerspiegelte.
    »Klingt für mich nicht gerade wie ein Liebesgedicht, sondern eher wie eine Warnung«, sagte er.
    Bernie starrte die Wand an, die Hand immer noch auf den Buchstaben.
    »Du bist anderer Meinung?«
    »Das habe ich nicht gesagt. Ein Liebesgedicht kann eine verkappte Warnung sein und umgekehrt. Denk einmal darüber nach.«
    Sein Schweigen ließ sie erröten. Sie konnte sich nur vorstellen, was ihm durch den Kopf ging. Sie betrachtete die Wand, die düsteren Worte, die dort geschrieben standen.
    »Aha«, sagte er nach einer Weile. »Eine Warnung kann also ein verkapptes Liebesgedicht sein. Für Bernadette Sullivan und Thomas Kelly. Nun, Warnsignale gibt es derzeit überall. Hast du gehört, was gestern Abend passiert ist?«
    »Nein. Was?«
    »Ich bin heute in aller Frühe aufgewacht und noch vor Sonnenaufgang hergekommen. John war bereits bei der Arbeit. Wie sich herausgestellt hat, errichtet er eine Art Labyrinth. Ich habe ihm gesagt, seine Steinmetzvorfahren würden wahrscheinlich den Hut vor ihm ziehen – aber ihm war nicht nach Lachen zumute.«
    »Warum? Was ist los?«
    Tom schüttelte den Kopf. »Zuerst war er verschlossen wie eine Auster, aber als er merkte, dass ich nicht lockerlassen würde, rückte er mit der Sprache heraus. Honor und er waren gestern offenbar auf Hubbard’s Point, im Strandkino.« Er warf ihr einen raschen Blick zu, um zu sehen, ob sie sich erinnerte – was fraglos der Fall war, auch wenn sie keine Miene verzog.
    »Das freut mich«, sagte sie.
    »In dem Jahr, als aus den beiden ein Paar wurde, waren wir ständig dort, alle vier, weißt du noch?«
    »Das ist eine Ewigkeit her«, erwiderte Bernie schroff.
    »Aus dir spricht die Nonne.«
    »Nun, ich bin eine Nonne.«
    »Als könnte ich das jemals vergessen.«
    »Was war mit John und Honor?«
    »John hat mir erzählt, dass es Ärger gegeben hat; Peters Vater hat wohl irgendeine dumme Bemerkung gemacht, und Regis ist ihm an die Gurgel gegangen.«
    »An die Gurgel gegangen?«
    »Ja. John meinte, sie sei völlig außer sich gewesen. Er macht sich Sorgen um sie. Er wollte mir ihr reden, aber Honor hat es nicht zugelassen.«
    »Und warum nicht?«
    »Vermutlich hat sie John die Schuld für gestern Abend gegeben, und allem anderen. Am schlimmsten ist, dass er sich furchtbare Vorwürfe macht. Der Ausdruck in seinen Augen hat mir nicht gefallen.«
    »Was hat er vor, was glaubst du?« Bernies Blick fiel auf die Inschrift an der Wand, und sie dachte an Honor, die alleine in der Kapelle saß.
    »Ich denke, er möchte mit Regis sprechen und sein Projekt beenden. Was er sonst noch plant, weiß ich nicht. Ich könnte mir vorstellen, dass er weggeht.«
    »Und wohin?« Ihr Herz wurde schwer bei dem Gedanken, ihr Bruder könnte Star of the Sea wieder verlassen, kaum dass er angekommen war.
    »Keine Ahnung. Er ist der Meinung, dass er Honor und den Mädchen genug Kummer zugefügt hat. Ich würde nicht ausschließen, dass die Inschrift von ihm stammt.« Tom betrachtete den geritzten Stein.
    »Er war es nicht.«
    Tom zuckte die Achseln. »Er behauptet, er sei viel zu weit entfernt gewesen, als die erste auftauchte. Ich versuche herauszufinden, ob beide Inschriften von derselben Person stammen könnten.«
    »Und, zu welcher Schlussfolgerung bist du gelangt?«
    »Wie du bereits sagtest, die Zeilen gehören zusammen, stammen aus derselben Quelle. Es muss also jemand sein, der sie aus dem Hohelied abgeschrieben hat oder auswendig kennt. Beide Inschriften wurden nur leicht eingeritzt und in Blockbuchstaben geschrieben, so dass man nur schwer irgendwelche Unterschiede erkennt. Aber ich habe trotzdem etwas entdeckt.« Er deutete auf die neue Inschrift und sah Bernie an, eine stumme Aufforderung, näher zu treten. »Ich beiße nicht«, sagte er.
    Bernie schloss für einen Moment die Augen. Es war nicht Tom, vor dem sie sich fürchtete. Seit sie Honor den Brief zurückgegeben hatte, hatte sie eine Tür geöffnet, die sie nicht mehr verschließen konnte. Gestern Abend hatte sie sich schlaflos im Bett herumgewälzt und war erst nach Mitternacht in einen leichten Schlummer verfallen. Sie hatte von der Grotte geträumt, von einem Berg Münzen, von Büchern, in die sich die Besucher eintrugen, und Karten, die anzeigten, dass eine Totenmesse gelesen wurde, und von Zetteln mit der verzweifelten Bitte um Fürsprache, hinterlassen von hoffnungsvollen Gläubigen. Sie hatte von der Statue der Jungfrau Maria geträumt und wie sie mit aller Kraft versucht

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