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Wie Sand in meinen Händen

Wie Sand in meinen Händen

Titel: Wie Sand in meinen Händen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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an!‹ – so etwas habe ich noch nie bei ihr erlebt, trotz ihres ungezügelten Temperaments. Was mag nur in sie gefahren sein?«
    John kauerte sich wieder nieder, legte die Blumen neben sich auf den Boden und fing an, weitere Steine rings um sich anzuordnen. Sie sah, dass seine Hände zitterten.
    »John? Weißt du, was das zu bedeuten hatte?«
    »Es gefiel ihr nicht, dass ich in ihrem Beisein gedemütigt wurde«, erwiderte er. »Lass es dabei bewenden, Honor.«
    Honor starrte auf ihn herab.
    Aus der Nähe sah das Labyrinth aus, als bestünde es aus lauter Steinen, die sich aneinanderreihten, strahlenförmig von der leeren Stelle im Zentrum ausgehend.
    »Es ist heiß. Du solltest nicht in der prallen Sonne arbeiten.«
    Sie kauerte sich neben ihn und griff zögernd nach seiner Hand. Gestern Abend hatten sie sich in der Dunkelheit an den Händen gehalten, und er hatte sie durch den Wald getragen. Die Erinnerung an die schlimmen Jahre war dabei verblasst, und sie hatte sich wieder für die Liebe geöffnet. Sie sehnte sich danach zurück. Johns Hand zitterte, und er entzog sie ihr.
    »Honor.«
    »Es tut mir leid wegen gestern Abend«, sagte sie erneut.
    »Hör auf, dich zu entschuldigen«, entgegnete er barsch.
    »Ich war außer mir«, sagte sie, erschrocken über seinen Tonfall. »Ich wollte sie nur von all diesen Leuten wegschaffen, sie nach Hause bringen. Ich hätte dir nicht die Schuld geben, hätte dich nicht allein lassen dürfen. Ich war wie betäubt und habe keinen einzigen Gedanken daran verschwendet, wie du nach Hause kommst.«
    »Die Leute waren taktlos«, sagte er hart. »Damit kann ich umgehen, kein Problem, aber der Gedanke, dass ihr die ganze Zeit solchen Reaktionen ausgesetzt wart … Das war unerträglich, Honor.«
    »John, du bist derjenige, für den diese Zeit am schrecklichsten war.«
    Er schüttelte den Kopf.
    Sein Körper war von der Arbeit in der Sonne gebräunt. Sie blickte ihn an, sah eine schlecht verheilte Narbe unter seinem linken Arm, direkt über dem Brustkorb. Sie zeichnete sie mit ihrem Finger nach, und er zuckte zusammen.
    »Das ist im Gefängnis passiert, oder?«
    Er ergriff ihre Hände, blickte ihr tief in die Augen.
    »Das Gefängnis gehört der Vergangenheit an. Ich bin frei. Verstehst du? Du hast mich nicht dorthin gebracht; es war nicht deine Schuld, also möchte ich diesen schuldbewussten Blick auch nicht mehr bei dir sehen. Leg ihn ab, Honor – hör auf, dich selbst zu zerfleischen.«
    »Ich habe aufgehört, dich zu besuchen«, flüsterte sie bedrückt.
    »Das spielt keine Rolle. Weißt du, was mir geholfen hat, die Zeit dort durchzustehen?«
    Sie schüttelte den Kopf, Tränen brannten in ihren Augen.
    »Du«, flüsterte er an ihrem Ohr, sanft wie eine Meeresbrise.
    »Aber ich war nicht da. Ich war überhaupt nicht für dich da. Ich habe sogar die Mädchen von dir ferngehalten, habe nicht zugelassen, dass sie dich besuchen …«
    »Auch das spielt keine Rolle, Honor. Du hast getan, was nach deiner Meinung das Richtige für sie war. Genau das habe ich mir von der Mutter meiner Kinder gewünscht. Aber du warst trotzdem bei mir. Jede Minute.«
    »Ich konnte dich nicht vor dieser schlimmen Erfahrung bewahren.« Sie schauderte, unterdrückte ein Schluchzen.
    »Honor. Hast du es immer noch nicht erkannt? Jeder Mensch muss seinen eigenen Weg gehen, und wenn er dabei Schiffbruch erleiden sollte, kann man ihn nicht davor bewahren. Man kann ihn nur lieben, so wie er ist, und ein wenig Vertrauen haben, dass alles gut wird.«
    »Dieses Vertrauen habe ich vor sechs Jahren verloren«, schluchzte sie.
    Er antwortete nicht; sie wusste, dass es ihm nicht anders ergangen war. Er musste es nicht aussprechen, sie sah es allein an der Härte in seinen Augen.
    »Unsere Wege werden sich trennen«, sagte er.
    »Wovon redest du?« Sie starrte ihn an.
    »Ich kann dir und den Mädchen nicht noch mehr zumuten. Tom wird mir helfen, irgendwo neu anzufangen. Vielleicht in Kanada – ich weiß, dass ich dort arbeiten kann. Ich lasse dich wissen, wo, damit mich die Mädchen besuchen können, wenn sie es möchten.«
    »Das ist nicht das, was wir wollen.« Honor bemerkte bei ihren Worten, wie alle Wärme aus ihrem Körper wich. Johns Entschluss stand fest – sie spürte es, an seiner Haltung, an der Art, wie er Abstand hielt, aufs Meer hinausblickte.
    Die Gezeiten hatten gewechselt, die ersten schwachen Wellen erreichten den harten Sand, auf dem sie standen. Klein und geriffelt, durchsichtig wie Zellophan,

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