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Wie Sand in meinen Händen

Wie Sand in meinen Händen

Titel: Wie Sand in meinen Händen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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umwölkt und bedrohlich.
    »Hast du?«
    »Dreimal darfst du raten.«
    »Warum hast du mir nichts davon gesagt?«
    »Ganovenehre.« Er versuchte zu lächeln, dann ließ er es bleiben. »Er bat mich darum.«
    »Laut Gerichtsurteil hätte er noch sechs Monate Haft vor sich gehabt.«
    »Vorzeitige Entlassung, wegen guter Führung. Er hatte einen Anwalt, der darauf bedacht war, dass es bemerkt wurde.«
    »Bezahlt von wem?«
    Tom antwortete nicht und ging schweigend weiter. Der Regen trommelte auf das Dach des Schirms. »Bernie, für mich ist das wie eine Gratwanderung. John ist mein Freund, und es gibt Dinge, die vertraulich sind …«
    »Du meinst, ich hätte keine Ahnung? Von vertraulichen Dingen?«
    »Aha, ein verbaler Schlagabtausch!«
    »Wenn du das für einen Schlagabtausch hältst, dann denk noch einmal gründlich nach, Tom Kelly. Du solltest es besser wissen, bei einem Vorfahren wie Tadgh Mor O’Kelly. Wie würdest du das nennen, was er gemacht hat? Als er auf dem Schlachtfeld starb und wie ein Berserker gegen die Wikinger kämpfte.«
    »Nur weiter so, Schwester Bernadette – hau zu, ohne Rücksicht auf Verluste.« Er hielt ihr seine Schulter hin, und sie versetzte ihm einen Fausthieb.
    »Au, Bernie!« Er hatte wohl nicht erwartet, dass sie so fest zuschlagen würde. Sie war selbst ein wenig erschrocken. Sie war aufgewühlt, seit sie erfahren hatte, dass sich ihr Bruder auf freiem Fuß befand und Tom vermutlich seinen Aufenthaltsort kannte – und nicht zuletzt wegen der Flut der Erinnerungen, die aus dem Dunkel des Vergessens auftauchten. Tom hatte gesagt, John befürchte, Honor könne sich von ihm scheiden lassen. Zog sie einen solchen Schritt wirklich in Erwägung?
    Ihr Bruder war so lange weg gewesen, dass einige Nonnen nicht einmal wussten, dass es ihn überhaupt gab. Erst letzten Monat, als Tom gekommen war, um den Deich und das Steincottage am Strand instand zu setzen, hatte Schwester Gabrielle lachend gesagt: »Schwester Bernadette, ich finde, wir sollten eine Möglichkeit finden, deine Schwägerin und diesen heißblütigen Iren miteinander zu verkuppeln.« Bernie hatte sich gefragt, was Tom und Honor davon halten würden. Tatsache war, dass viele der jungen Nonnen kaum etwas über Honors und Bernies Vergangenheit wussten. Geschweige denn, was Tom und sie miteinander verband.
    »Du machst mich dafür verantwortlich«, sagte Tom.
    »Ich mache dich für gar nichts verantwortlich. Jeder Mensch hat einen freien Willen. Es steht John frei, seine eigenen Entscheidungen zu treffen.«
    »Ich weiß. Es hat uns alle aus dem Lot gebracht – mich, John, sogar Honor und dich. Das kannst du nicht leugnen.«
    »Fiele mir im Traum nicht ein.« Sie fühlte sich unbehaglich angesichts der wachsenden Spannung zwischen ihnen.
    »Hat Honor vor, ihn zu treffen?«
    »Keine Ahnung.«
    »Was hat sie zu dem Brief gesagt?«
    Bernie fuhr herum und sah ihn an. »Was weißt du von dem Brief? Wohnt er bei dir? Hat er dir erzählt, dass er ihn geschrieben hat? Tom, deine vertraulichen Geschichten sind mir egal – sag mir, wo mein Bruder steckt.«
    »Bernie, ich weiß es nicht.«
    »Aber der Brief –«
    »Er hat ihn an meine Adresse geschickt, mit der Bitte, ihn an Honor weiterzuleiten. Laut Poststempel kam er aus Quebec. Aber er schrieb, er sei auf dem Weg hierher. Das ist alles, was ich weiß, ich schwöre es.«
    »Honor ist fix und fertig. Regis macht ihr das Leben verteufelt schwer …«
    »Scheint ihrer Tante ziemlich ähnlich zu sein, wenn ich mich recht entsinne.«
    »Ich will nichts davon hören!«, warnte Bernie.
    »Warum denn, Bernie? Ich erinnere mich, dass du deiner Mutter so manche schlaflose Nacht bereitet hast, als du in Regis’ Alter warst. Mir auch. Was hat Regis angestellt?«
    »Angestellt? Sie ist verliebt und will heiraten, und dabei ist sie erst zwanzig … das reicht ja wohl. Du weißt genau, was ich meine.«
    »Sie ist eben genauso leidenschaftlich, wie ihre Eltern früher waren.«
    »Ja«, erwiderte Bernie kurz, in der Hoffnung, dass er das Thema fallen ließ.
    »Aber so groß Liebe und Leidenschaft bei den beiden auch gewesen sein mögen – bei uns, Bernie …«
    »Schluss damit, Thomas.«
    Sie gingen stumm nebeneinander her, der einzige Laut waren ihre Schritte auf dem nassen Boden und die Regentropfen, die auf den Schirm trommelten. Sein Zorn war spürbar, wie Hitzewellen, die durch den schwarzen Stoff ihres Habits drangen. Als sie sich der Blauen Grotte näherten, wurden sie durch einen

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