Wie Sand in meinen Händen
vorbeihuschenden weißen Schatten aufgeschreckt – es war Sisela, die eilends davonlief.
»Aha, ein Problem mit der Grotte?«, fragte er, als sie den Eingang erreichten.
»Genau.« Sie trat näher an den Gewölbebogen und streckte die Hand aus, um das zerbröckelnde Gestein zu berühren. Die Mauern auf dem Anwesen von Star of the Sea waren überwiegend ohne Mörtel errichtet, die Reibung und das Gewicht der aufeinanderliegenden großen Steinquader verliehen ihnen den nötigen Halt, doch nicht so bei der Grotte. Hier waren die Steine kleiner und runder, zusammengefügt mit Zementmörtel.
Das Gemäuer, mit einem herrlichen Rundbogen am Eingang, bildete eine Art Höhle, die im Inneren eine Statue der Muttergottes barg.
Sie sah zu, wie Tom die Stelle in Augenschein nahm, an der sich drei Steine aus dem Rundbogen gelöst hatten. Sie lagen auf der Erde und besaßen die Größe eines Softballs. Er hob einen auf, hielt ihn in der Hand und setzte ihn versuchsweise wieder ein. Das Gleiche probierte er mit den beiden anderen Steinen.
»Kannst du das ausbessern?«
Er nickte. »Aber es fehlt etwas.«
»Was?«
»Ein vierter Stein. Schau.« Er bedeutete ihr, näher zu kommen. Sie kam an seine Seite und blickte auf die leere Stelle. Sein Atem war warm auf ihrer Wange. Sie erbebte und wäre am liebsten einen Schritt zurückgetreten. Doch er deutete auf mehrere Kratzer, die sich auf einem der Steine befanden.
»Was ist das?«, fragte sie.
»Jemand hat die Steine mit einem Messer herausgebrochen.«
Ihr Herz klopfte, ihr Mund war trocken. »Vandalen?« Sie hatte keine Ahnung, was es mit dem fehlenden Stein auf sich haben könnte.
»Sieht ganz so aus.« Er griff in seine Tasche, holte seine Lesebrille heraus und beugte sich vor, um den zerbröckelnden Mörtel aus der Nähe zu betrachten. Bernadette ging zur Statue hinüber. Sie hielt nach möglichen Schäden Ausschau, konnte aber nichts entdecken. Die Statue war aus Alabaster und annähernd einen Meter hoch. Das Antlitz der Muttergottes war ein Meisterwerk, die zarten, fein gemeißelten Gesichtszüge zeugten von Liebe und Mitgefühl. Ihr Gewand war in anmutige Falten gelegt, die Arme hingen zu beiden Seiten herab, die Handflächen nach oben gekehrt. Eine Schlange wand sich unter ihrem nackten Fuß.
Da das Anwesen und die Kapelle an Sonntagen für alle zugänglich waren, die an der Messe teilnehmen wollten, brachten die Gläubigen der Muttergottes häufig Opfergaben dar. Die Statue stand auf einem Sockel aus gewachsenem Granit. Auf dem Felsen lagen zahllose Karten zur Erinnerung an Totenmessen, die für Verstorbene gelesen worden waren; Zettel mit den Namen von Lebenden und Toten, die der Fürsprache der Jungfrau Maria bedurften; wundertätige Medaillen, Skapuliere und Gedenkmünzen, geprägt anlässlich eines Jahrestages der Anonymen Alkoholiker; Votivkerzen in roten hohen Gläsern, Münzen und sogar Früchte. Obwohl viele Jahre seit der Marienerscheinung vergangen waren und nie eine Stellungnahme von offizieller Seite erfolgt war, tatsächlich hatte der Bischof sogar strikte Geheimhaltung angeordnet, hatte sich das Wunder trotzdem wie ein Lauffeuer herumgesprochen und zog auch heute noch Gläubige in Scharen an.
»Bernie«, sagte Tom. »Schau dir das an.« Beim Klang seiner Stimme erstarrte sie innerlich; sie drehte sich um und ging zu ihm.
»Was gibt es?« Sie musterte die schwach sichtbaren Kratzer, die sich an der Stelle befanden, an der sich der Bogen zu wölben begann. Tom deutete nach oben; sein goldener Ring mit dem Wappen der Kellys glänzte matt im Dämmerlicht der Grotte.
Wortlos reichte er ihr seine silbergefasste Lesebrille. Sie musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um die Messerspuren an der Stelle zu erkennen, an der die Vandalen die Steine aus der Wand gebrochen hatten.
»Ich habe keine Ahnung, was die Worte bedeuten sollen. Du etwa?«
Sie starrte und gab keine Antwort.
Tom deutete abermals auf die Stelle, legte leicht den Arm um sie und hob sie ein wenig hoch. Sie beugte sich vor; ihr stockte der Atem, als sie Toms Herzschlag an ihrem Rücken spürte und die Worte las, die in den Stein gemeißelt waren:
ICH SCHLIEF , ABER MEIN HERZ WAR WACH .
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4. Kapitel
W as glaubst du, wann Dad nach Hause kommt?«, fragte Agnes, als am Mittwoch die ersten Strahlen des Morgenlichts durch die transparenten weißen Vorhänge fielen.
»Sie spricht!«, rief Regis von dem gegenüberliegenden Bett auf der anderen Seite des Raumes.
Agnes erwiderte das
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