Wie Sand in meinen Händen
sehen, woher das Piratenblut in den Adern deines Bruders stammt …« Es hieß, dass John sein dunkles irisches Erscheinungsbild einer Romanze zwischen irgendeiner Ahnfrau und einem spanischen oder algerischen Piraten verdankte, der sein Gold auf dem Land des Dargan-Clans vergraben hatte. »Wir werden herausfinden, warum Steinmauern eine so große Bedeutung für uns und unsere Familien haben.«
»Wer könnte da widerstehen?«, hatte Bernie scherzhaft gesagt. Doch tief in ihrem Inneren war die Antwort ernst gemeint gewesen. Mit dem Eintritt in die Ordensgemeinschaft der Schwestern von Notre-Dame-des-Victoires würden Reisen wie diese ein für alle Mal ein Ende haben. Es war ihr letzter Ausflug in die große weite Welt, und wer hätte dabei einen besseren Begleiter abgegeben als Tom Kelly?
Erinnerungen überfluteten sie; zitternd schob sie die Hände in die Ärmel ihres Habits, um sie zu wärmen. Seine Augen blitzten, forderten sie heraus, wie in ihrer Kindheit oder während der Reise nach Irland, die ihrer beider Leben verändert hatte.
»Komm, lass uns ein paar Schritte gehen«, sagte er abermals und hielt ihr die Tür auf.
Sie nickte und holte einen langen schwarzen Regenschirm aus dem Messingständer. Wortlos nahm er ihr den Schirm aus der Hand, öffnete ihn und hielt ihn ihr über den Kopf, als sie aus dem Gebäude traten und den Campus überquerten.
Der Regen trommelte auf die Seidenbespannung des Schirms. Ihre Arme berührten sich beim Gehen. Bernadettes Schulter reichte bis zur Mitte seines Bizeps; er war groß, und sie erinnerte sich an das Jahr, als er einen Wachstumssprung gemacht und über die ein Meter achtzig hinaufgeschossen war. Da war er gerade dreizehn Jahre alt gewesen.
Als Kinder hatten sie miteinander gespielt, hier, auf diesem Anwesen. Sein Urgroßvater war Francis X. Kelly gewesen, der ursprüngliche Besitzer. Und ihr Urgroßvater, Cormac Sullivan aus der Grafschaft Cork, gerade erst mit einem Einwandererschiff angekommen, hatte den Auftrag erhalten, einen Bautrupp zusammenzustellen und die Mauern zu errichten. Am Ende hatte Toms Urgroßvater das Land und die imposanten Gebäude den Schwestern von Notre-Dame-des-Victoires als Schenkung vermacht, mit der Auflage, hier eine Bildungsstätte für junge Mädchen zu gründen. Der Familienbesitz, der ursprünglich »Stella Maris« hieß, war in Star-of-the-Sea-Akademie umbenannt worden.
Zum Anwesen gehörten zwanzig Morgen Land mit sanften Hügeln und Steinmauern auf der Meerseite; imposante Natursteingebäude, die im Winter warm und dank des Windes, der vom Meer herüberwehte, im Frühling und Herbst kühl waren; ein klostereigener Weingarten, der einen hervorragenden Chardonnay hervorbrachte; ein Lehrkörper mit erstklassigen Dozenten; eine Bibliothek, die ihresgleichen suchte: Sie enthielt alle Bücher über Irland, die Kirche und das Mittelalter in Frankreich und Rom, die sich einst im Besitz von Francis X. befunden hatten und Seltenheitswert besaßen, eine kolorierte Manuskriptsammlung eingeschlossen, die derjenigen von Yale in nichts nachstand; und der Tunnel, ein Labyrinth von Geheimgängen, mit denen die älteren Studenten jedes Jahr am ersten Tag des Herbstsemesters die Neuankömmlinge vertraut machten.
Nicht zu vergessen die malerischen Steinmauern, die von der Sehnsucht nach Irland und den Familien erzählten, die in der alten Heimat zurückgeblieben waren und an Leid und Hunger erinnerten. Sie kündeten von Bernies und Johns Familiengeschichte, und nicht zuletzt waren sie hilfreich, um die Nonnen zusammenzuhalten, ebenso wie später die Studenten.
Einmal im Jahr, am vierten Juli, gestatteten es die Nonnen, dass die Kellys hier ein großes Fest abhielten. Um ihre Dankbarkeit gegenüber Amerika zu bezeugen, das viel für die Iren getan hatte, lud die Familie alle Nachfahren der Arbeiter ein, die Stella Maris in ein solches Schmuckstück verwandelt hatten.
Und so hatten sich Bernadette und John Sullivan, die Urenkel eines armen Steinmetzen, mit Tom Kelly angefreundet, dem Urenkel des Großgrundbesitzers. John forderte Tom zu Mutproben heraus: auf die höchsten Bäume zu klettern, auf der schmalsten Felsspitze zu balancieren. Honor, deren Familie an der Küste von Hubbard’s Point ansässig war, hatte ein Stipendium für die Akademie erhalten und hier studiert.
Tom hatte gegen das privilegierte Leben seiner Familie aufbegehrt und begnügte sich damit, auf dem Anwesen Mauern zu bauen. Bernie leitete Star of the Sea, und John und
Weitere Kostenlose Bücher