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Wie soll ich leben?

Wie soll ich leben?

Titel: Wie soll ich leben? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Bakewell
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ließ ihre Füße in heißem Fett schmoren; ihre Frauen wurden vergewaltigt, Schwangere misshandelt. Kinder wurden entführt und von den Eltern Lösegeld erpresst, andere wurden vor den Augen ihrer Eltern lebendig verbrannt.
    Die Kriege wurden von religiösem Fanatismus befeuert, und das durch sie verursachte Leid nährte apokalyptische Visionen. Für Katholiken wie Protestanten schien mit den Gräueltaten die Geschichte an ihr Ende gelangt und der Endkampf zwischen Gott und dem Teufel bevorzustehen. Deshalb feierten die Katholiken das Massaker der Bartholomäusnacht als den Triumph des Guten über das Böse und als Chance, die Irregeleiteten zur Rettung ihrer Seelen in den Schoß der Kirche zurückzuführen.
    Die Zeit drängte. Am Jüngsten Tag würde Christus wiederkommen und Rechenschaft fordern. Wenn die Endzeit angebrochen war, konnte es keine Kompromisse mehr geben, keine Rücksichtnahme auf andere Standpunkte und keine Verständigung zwischen den rivalisierenden Glaubensrichtungen. In einer Welt, die auf den Untergang zusteuerte, stand auch Montaigne mit seinem Lob des gewöhnlichen Lebens und des rechten Maßes auf verlorenem Posten.
    Die Zeichen für die bevorstehende Apokalypse waren vielfältig. Hungersnöte, Missernten und eisige Winter in den 1570er und 1580er Jahren nahm man als Beweis dafür, dass Gott der Welt seine schützende Hand entzogen hatte. Pocken, Typhus, Keuchhusten und vor allem die Pest forderten zahllose Opfer. Die vier apokalyptischen Reiter Pest, Krieg, Hunger und Tod suchten die Menschheit heim. Ein Werwolf zog durchs Land, in Paris wurden siamesische Zwillinge geboren, und am Himmel tauchte eine Nova auf, ein neuer Stern. Selbst Menschen,die nicht zu religiösem Extremismus neigten, hatten das Gefühl, alles steuere auf ein Ende zu. Marie de Gournay, die Herausgeberin von Montaignes Essais , beschrieb das Frankreich ihrer Jugend als ein so tiefim Chaos versunkenes Land, «dass man den endgültigen Untergang und nicht die Wiederherstellung des Staates» erwartete. Der Sprachforscher und Theologe Guillaume Postel prophezeite 1573 in einem Brief, «innerhalb von acht Tagen» werde die Menschheit untergehen.
    Himmel und Hölle, Kupferstich von Hieronymus Cock aus dem Jahr 1565
    Auch der Teufel wusste, dass die Tage seines Einflusses auf der Welt gezählt waren, und schickte Heerscharen von Dämonen, um die letzten noch ungeschützten Seelen für sich zu gewinnen. Jean Wier berechnete in seinem De praestigiis daemonum (1564), mindestens 7 408 127 Dämonen seien im Auftrag Luzifers am Werk, befehligt von 79 Dämonenfürsten. Ihnen zur Seite stünden Hexen, deren Zahl seit Ende der 1560er Jahre dramatisch zunahm – der überwältigende Beweis dafür, dass die Apokalypse unmittelbar bevorstehe. Sie wurden vor Gericht gestellt und verbrannt, doch der Teufel ersetzte sie immer schneller.
    Der Dämonenforscher Jean Bodin, einer der bedeutendsten Staatstheoretiker der frühen Neuzeit, forderte, in Krisenzeiten wie dieser müssten die Standards der Beweiserbringung niedriger angesetzt werden. Hexen seien ein ernstes Problem, und angesichts der Schwierigkeit, sie mit gängigen Beweismethoden zu überführen, wären langwierige juristische Prozeduren und übliche Gerichtsverfahren kontraproduktiv. In der Öffentlichkeit kursierende Gerüchte seien Beweis genug. Wenn ein Dorfbewohner eine Frau als Hexe bezichtigte, genügte das, sie der Folter zu unterziehen. Dafür wurden mittelalterliche Techniken eingesetzt, unter anderem die Wasserprobe (Schwimmen war ein Schuldbeweis) und die Feuerprobe mit glühenden Eisen. Die Zahl der verurteilten Hexen stieg, je mehr die Beweislast schwand, und dieser Anstieg galt als weiterer Beleg für den Ernst der Lage und als Argument dafür, die Gesetze weiter zu lockern. Nur wenige widersprachen wie Montaigne, der die Folter als Instrument der Wahrheitsfindung für ungeeignet hielt, da die Gefolterten alles zugäben, um ihre Pein zu beenden. Außerdem, so Montaigne, schätzten jene Leute «den Wert ihrer religiösen Spekulationen doch wohl allzu hoch ein, wenn sie um deretwillen einen Menschen bei lebendigem Leib verbrennen» ließen.
    Theologen warnten vor dem Antichrist, für dessen Kommen man in den folgenden Jahren viele Anzeichen zu erkennen glaubte: 1583brachte eine Greisin irgendwo in Afrika ein Kind mit Katzenzähnen zur Welt, das mit der Stimme eines Erwachsenen verkündete, es sei der Messias. In Babylon öffnete sich ein Berg und gab eine Säule frei, auf

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