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Wie soll ich leben?

Wie soll ich leben?

Titel: Wie soll ich leben? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Bakewell
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Territoriums Heinrichs von Navarra wie auch persönlich,als guter Diplomat, war Montaigne für eine solche Vermittlung zwischen den Parteien bestens geeignet und rang um einen Kompromiss. Er kam mehrmals mit Heinrich von Navarra zusammen, der auch bei ihm zu Gast war, und schloss Freundschaft mit Heinrichs einflussreicher Mätresse Diane d’Andouins, genannt Corisande. Im Dezember 1584 verbrachte Heinrich von Navarra ein paar Tage auf Montaignes Schloss – zu einem Zeitpunkt, da sogar der König ihn dazu drängte, dem Protestantismus abzuschwören, um seinen Thronanspruch durchzusetzen. Der Navarrer lehnte ab. Jetzt bemühte sich Montaigne darum, Heinrich von Navarra umzustimmen.
    In persönlicher Hinsicht war der Besuch ein voller Erfolg. Das Vertrauen Heinrichs in seinen Gastgeber war so groß, dass er sogar die Dienste von Montaignes Personal in Anspruch nahm und die Speisen nicht vorkosten ließ, da er keine Angst hatte, vergiftet zu werden. All das hielt Montaigne in seinem «Beuther» fest:
    19. Dezember 1584. Der König besuchte mich auf Montaigne, wo er niemals gewesen war, und wurde daselbst zwei Tage von meinen Leuten, ohne einen einzigen seiner Offiziere, bedient. Er litt weder Verkostung, noch gebrauchte er sein Tafelzeug [ il n’y souffrit ni essai ni couvert ] – und er schlief in meinem Bette.
    Der Gastgeber hatte also eine große Verantwortung, und Gäste dieses Kalibers erwarteten auch, königlich unterhalten zu werden. Montaigne organisierte eine Jagdpartie: «Am Tag darauf ließ ich einen Hirsch in meinen Wäldern los, der ihn [den König] zwei Tage in Atem hielt.» Montaige spielte die Gastgeberrolle offenbar perfekt, doch sein diplomatischer Plan scheiterte. Ein Brief Montaignes an Matignon einen Monat später zeigt, dass er es dennoch weiter versuchte. Unterdessen wurde Heinrich III. von der (in Paris jetzt sehr mächtigen) katholischen Liga unter Druck gesetzt, die hugenottenfeindliche Gesetzgebung so zu verschärfen, dass zugleich auch Heinrich von Navarra von der Thronfolge ausgeschlossen wurde. Im Gefühl, in seiner eigenen Stadt keinen Rückhalt mehr zu haben, gab Heinrich III. nach und erließ im Oktober 1585 ein Edikt, das den Hugenotten drei Monate Zeit ließ, entweder ihrem Glauben abzuschwören oder das Land zu verlassen.
    Wenn dies ein Versuch war, den Krieg zu verhindern, bewirkte er genau das Gegenteil. Der Navarrer rief seine Anhänger zum Widerstand gegen die neuerliche Repression auf. Im Frühjahr erließ König Heinrich III. weitere hugenottenfeindliche Gesetze, die den Navarrer zusehends erbitterten. Katharina von Medici, die Mutter des Königs, versuchte wie Montaigne, in letzter Minute eine Verständigung zu erreichen, aber auch sie scheiterte.
    Es war der letzte, aber auch der längste und blutigste Bürgerkrieg. Er dauerte bis 1598, Montaigne sollte also den Frieden nicht mehr erleben. Mehr als je zuvor in den Jahren der troubles wurde die Bevölkerung von schrecklichen Verwüstungen, Hungersnot und Seuchen heimgesucht. Plündernde Soldatenhorden und hungernde Flüchtlinge durchzogen das Land.
    Nicht nur die Anarchie auf dem flachen Land setzte Montaigne jetzt zu, Gefahr drohte auch von seinen alten Feinden in Bordeaux. Für einen guten Katholiken hatte er einfach zu viele protestantische Freunde. Jeder wusste, dass er Heinrich von Navarra bei sich zu Gast gehabt hatte, und einer seiner Brüder kämpfte in dessen Armee. Wie Montaigne selbst es formulierte, war er «den Ghibellinen ein Guelfe und den Guelfen ein Ghibelline» – eine Anspielung auf die beiden Parteien, die Italien jahrhundertelang gespalten hatten. «Es kam freilich deswegen zu keinen förmlichen Anklagen, denn da gab es nichts, woran man sich hätte festbeißen können», schrieb er, nur «heimliche Verdächtigungen.» Dennoch verließ er sein Gut weiterhin unbewaffnet, getreu seinem Grundsatz der Offenheit. Im Juli 1586 belagerte eine Streitmacht der Liga mit 20.000 Soldaten Castillon an der Dordogne, keine zehn Kilometer entfernt. Auch Montaignes Anwesen blieb von den Kämpfen nicht verschont, da einige Truppen auf seinen Ländereien ihr Lager errichteten. Die Soldaten plünderten seine Felder und raubten seine Bauern aus.
    Unterdessen versuchte Montaigne, an seinem Buch weiterzuarbeiten. Er hatte einen dritten Band begonnen und ergänzte frühere Kapitel durch Zusätze. Wie er schrieb, steckte er mitten in dieser Arbeit, als sich «schwere Gewitterwolken mehrere Monate lang über mir zusammenbrauten

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