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Wie soll ich leben?

Wie soll ich leben?

Titel: Wie soll ich leben? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Bakewell
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und mit ihrer ganzen Gewalt gradewegs auf mich zu entladen drohten: Auf der einen Seite hatte ich die Feinde vor meinemTor, auf der andern die Plünderer, die schlimmsten Feinde von allen […]. So erlitt ich alle Unbill des Krieges auf einmal.» Ende August brach unter den Soldaten der belagernden Armee die Pest aus, die rasch auf die Zivilbevölkerung übergriff und auch Montaignes Anwesen bedrohte.
    Er musste sich entscheiden, ob er mit seiner Familie heroisch bei seinen Bauern ausharren sollte, um mit ihnen zu leiden und notfalls mit ihnen zu sterben. Doch wer die Möglichkeit hatte, ein Pestgebiet zu verlassen, ergriff seine Chance. Nur wenigen Bauern stand dieser Weg offen, Montaigne schon, und er verließ sein Gut. Er unterbrach seine Arbeit an dem Kapitel «Über die Physiognomie» und zog mit seiner Familie fort.
    Man könnte in diesem Fall sagen, er habe seine Bauern im Stich gelassen. Doch schon vor seinem Aufbruch muss ihre Lage ausweglos gewesen sein, denn Montaigne schrieb in den Essais , manche hätten sich schon bei voller Gesundheit ihr Grab geschaufelt und sich hineingelegt, um den Tod zu erwarten. Er konnte nichts für sie tun. Montaigne nahm zweifellos seine Diener mit, aber die vielen Menschen, die auf seinen Ländereien arbeiteten, musste er zurücklassen. Als sie sahen, wie er und seine Familie ihre Sachen packten und flohen, mussten sie das Gefühl haben, dem sicheren Tod ausgeliefert zu sein; doch mehr erwarteten sie wohl auch nicht von ihren adligen Beschützern. Merkwürdigerweise wurde sein Verhalten in dieser Situation kaum kritisiert, ganz im Gegensatz zu seiner Desertion beim Ausbruch der Pest in Bordeaux. Doch es lässt sich nur schwer erkennen, wie er sich anders hätte verhalten können; schließlich trug er auch für seine Familie Verantwortung.
    Sie waren jetzt obdachlose Wanderer und sechs Monate lang unterwegs, bis sie im März 1587 hörten, dass sich die Pest zurückgezogen hatte. Es war nicht einfach, für einen so langen Zeitraum irgendwo Unterschlupf zu finden. Montaigne musste die Kontakte zu ehemaligen Kollegen in Bordeaux und seine Familienverbindungen aktivieren. Doch kaum jemand hatte Platz für alle. Außerdem begegnete man Pestflüchtlingen im Allgemeinen mit großer Angst. «Ich, der ich so gastfrei bin», schrieb Montaigne, «sah mich größten Schwierigkeiten gegenüber, eine Zufluchtsstätte für die Meinen zu finden: eine verstörtherumirrende Familie, die, selbst von Furcht ergriffen, ihren Freunden und Bekannten Furcht einjagte, überall auf entsetzte Abwehr traf, wo sie unterzukommen suchte, und auf der Stelle weiterziehen musste, sobald auch nur einem aus dem verlornen Häuflein eine Fingerspitze wehzutun begann.»
    In diesen unsteten Monaten nahm Montaigne auch seine politischen Aktivitäten wieder auf. Vielleicht war dies der Preis, den er bisweilen für eine Unterkunft zu zahlen hatte. Jetzt spielte er eine zunehmend wichtige Rolle bei den Bemühungen der politiques und anderer, die Krise beizulegen und Frankreich eine Zukunft zu sichern. Sein Ausscheiden aus allen öffentlichen Ämtern im Jahr 1570 hatte ihm die Muße verschafft, über sein Leben nachzudenken. Diesmal war es anders. Nach dem Ende seiner Amtszeit als Bürgermeister stieg er in der Hierarchie der Macht immer weiter in Höhen empor, wo die Luft dünn war und ein Absturz gefährlich sein konnte. Er knüpfte Verbindungen zu einigen der wichtigsten politischen Akteure jener Zeit: zu Heinrich von Navarra und jetzt auch zu Katharina von Medici, der Mutter des unentschlossenen Königs.
    Katharina von Medici war seit jeher überzeugt gewesen, dass man sich nur zusammensetzen und reden musste, um alle Probleme zu lösen. Mehr als jeder andere bemühte sie sich um Verständigung zwischen den feindlichen Parteien, und dabei fand sie in Montaigne einen natürlichen Verbündeten. Sie holte ihn zu mindestens einem von mehreren Treffen mit Heinrich von Navarra, die zwischen Dezember 1586 und Anfang März 1587 im Schloss Saint-Brice bei Cognac stattfanden. Montaigne brachte seine Frau mit, und das Paar erhielt einen Geldbetrag – die Spesen – für Reisekosten und Kleidung. Sie hatten jetzt zumindest einen Ort, an dem sie bleiben konnten, aber der Druck muss enorm gewesen sein. Katharina erhoffte sich einen Vertrag; doch wie zuvor schon so oft, reichten Gespräche nicht aus.
    Die Pest im Périgord befand sich auf dem Rückzug, so dass Montaigne mit seiner Familie nach Hause zurückkehren konnte. Das

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